Weiter geht es mit Maria Tackmann

von Beat Sterchi 29. Januar 2019

Weil mich der Kondukteur im Matten-Lift leicht verwundert anschaute, als ich auf seine Frage, ob ich das Billet wolle, mit «Ja» antwortete, sagte ich: «Wer weiss, wie lange es die noch gibt.» Die Münsterplattform lag dann ziemlich verlassen da, nicht mal ein Spatz war zu sehen, alles grau, auch die Aare floss ziemlich grau ins neue Jahr hinein, aber in der Englischen Anlage war jemand in einer roten Jacke unterwegs und vor der Balustrade über der Stützmauer sah ich am nassen Boden erst einen wohl an Silvester verwendeten Aufklebeschnauz, also einen Papierschnurrbart, und dann nicht weit davon entfernt, fast leuchtend, ein kleines Herz aus roter Alufolie.
Die Aare war übrigens nicht nur grau, sie war auch so mager, dass sie nicht das leiseste Rauschen zu bieten hatte. Weitergehend fragte ich mich, ob es wohl stimme, dass im Russischen, wie ich gerade bei Benjamin gelesen hatte, «rot» und «schön» ein Wort ist, bis ich in einem entlaubten Busch hinter der Mauer über der Mattentreppe plötzlich sah, wo sich die Spatzen versteckten. Da sassen vielleicht 40 oder sogar 60 Spatzen in diesem kahlen Busch. Gut, vielleicht waren es nicht 60, aber 50 bestimmt. Genau konnte ich sie nicht zählen, denn vom Münster her war immer wieder der Flügelschlag einer Taube zu hören, der sie alle aufschreckte und durcheinander flattern liess, bevor sie sich wiederum nur kurz in dem Busch niederliessen. Vielleicht weil Sonntag war, gab es kaum Passanten und für einmal auch keine Touristen. Nur an der Kreuzgasse führten ein Mann und eine Frau ihre Hunde spazieren. Und auch an der Gerechtigkeitsgasse kamen ein Mann und eine Frau durch die Laube, die beide kleine struppige Hunde an einer Leine führten.
Diese Hunde trugen beide ein grünes Mäntelchen und waren sehr lebhaft, gingen aber artig bei Fuss neben ihren Besitzern. Ich war nicht sicher, ob es Terriers waren und nahm mir vor, zuhause nachzusehen. Während ich bemerkte, dass der eine der Hunde leichter, vielleicht auch jünger als der andere war, tauchte weiter unten bei der Bushaltestelle noch ein Hund mit einem ebenfalls grünen Mäntelchen auf. Er sah eher mopsmässig aus, hatte lange Haare und kürzere Beine, versetzte die beiden anderen Hunde dennoch in Aufregung. Sie hatten an ihren Leinen zu ziehen begonnen und einer hatte sich mit einer Drohgebärde dem andern zugewandt und ich hörte, wie die Halterin sagte: Ruhe, Zora! Zora! Ruhe! Und dann sagte sie noch: Du muesch dr Küdu nid massregle, das tüä mir scho mache. Ohne zu wissen wozu, merkte ich mir diese Wörter: Du muesch dr Küdu nid massregle, das tüä mir scho mache, und gleichzeitig fiel mein Blick auf einen kleinen Fetzen Papier auf dem Laubenboden. Es war ein bedruckter Kleber, der von Schuhabdrücken schon braun und dreckig war, aber buchstabensüchtig, wie ich bin, musste ich wissen, was dort gerade noch lesbar draufstand und bückte mich. TRAUMA & GEWALT stand da. Beim Abbiegen von der Gerechtigkeitsgasse in das Antoniergässchen sah ich mich dann ganz plötzlich einer Plakatwand gegenüber und auf dem ersten Plakat, das ich bewusst wahrnahm, stand: NÄCHSTER HALT NIRWANA. Es ging um irgend einen Lehrkurs, und gleich daneben stand ebenso gross: UNSEREN BODEN SCHÜTZEN, eine Aussage, die ich schon eher einordnen und auch verstehen konnte.
Zuhause angekommen, suchte ich, sobald ich meine Sachen abgelegt und die nassen Schuhe ausgezogen hatte, nach einem Buch der Hunderassen, in welchem ich meine Vermutung bestätigt fand. Bei «Zora» und «Küdu», muss es sich um Fox-Terriers gehandelt haben. Bevor ich das Buch wieder auf das Regal stellte, hatte ich das Billet des Mattenlifts zwischen die Seiten gelegt. Elektrischer Personenaufzug Matte-Plattform AG –  Fr. 1. 20 steht auf dem kleinen Stück Papier.

Und was hat Maria Tackmann damit zu tun?

Anlässlich der Ausstellung Cantonale Berne Jura zeigte die 1982 in Wattenwyl geborene Künstlerin im Kunstmuseum Thun eine Installation aus Materialien, die sie auf Spaziergängen in einem Quartier von Paris gefunden hat und zum Teil weiter bearbeitete. Es sind zerbrochene Bodenplatten und Backsteine dabei, auch Scherben, Bruchstücke aus Holz, Metall und Plastik. Weil mir diese sogenannte Bodenarbeit sehr gefallen hat, habe ich mich gefragt, was ich denn so mitbrachte, von meinem letzten Spaziergang in Kopf und Hosentasche? Es sind auch nur Fetzen und Fragmente, aber immerhin verweisen sie auf die verwischten Spuren des Lebens in unserer Stadt.