Auch mir fehlt der Coiffeur!

von Lucie Bader 11. April 2020

Das Gejammer um die geschlossenen Coiffeursalons ist berechtigt, denn wie sollen wir nach der Lockerung des Lockdowns wieder unter die Leute gehen? FreundInnen und Mitarbeitende werden den Eindruck kriegen, dass wir aufgrund des Covid-19 ergraut und um Jahre gealtert seien. Dabei ist dies nur auf die fehlende Anwendung von Haarfärbemitteln zurückzuführen. Auch der ungewohnt unperfekte Haarschnitt könnte auffallen und als Zeichen der persönlichen Vernachlässigung interpretiert werden. Ich sehe schon die negativen individuellen Konsequenzen: Mitleid, Vertrauensverlust, ja, die ungepflegte Erscheinung könnte gar zum Beförderungshindernis werden.

Um solche Probleme müssen sich die kahlköpfigen Entscheidungsträger Berset, Koch, Maurer und wie sie alle heissen, nicht kümmern. Also können sie die strikten Massnahmen ruhig noch verlängern. Unser Vertrauen haben sie. Auch mir fehlt der «Coiffeur»! Neulich habe ich einem Freund die Jassregeln des Coiffeurs erklärt – dessen Bezeichnung eigentlich von «Quoi faire?» stammt – und bin dabei so ins Schwärmen geraten, dass ich wieder gemerkt habe, wie sehr mir der gemeinsame Jass während dieser Selbst-Quarantäne fehlt. Nebst wandern und joggen ist jassen einer meiner Lieblingssportarten. Ich mag es, mit ganz unterschiedlichen Leuten einen Jassabend zu verbringen, denn da geht es um viel mehr als um blosse Spiellust. Ernsthafte SpielerInnen fordern andere mental, strategisch, taktisch und psychisch heraus. Das Spiel lebt vom Können, aber auch von der Dynamik, der Taktik wie auch vom partnerschaftlichen Vertrauen und dem Mut, Risiken einzugehen. Beim Verteilen der Karten werden Gläser nachgefüllt, kurz nach dem Befinden der Familie und des Berufs gefragt und schon steht wieder die Entscheidung der nächsten Spielvariante (Trumpf, oder doch Schieben?) an. Ein Match löst einen Freudenschrei bzw. ein ärgerliches Händeverwerfen aus. Die Punkte werden notiert und man kalkuliert den nächsten Spielgang. Oft ist ein Jass so spannend wie ein toller Film! Ein interessanter, gewagter Anfang, dann der misslungene Part mit dem «Obenabe», neue Erwartungen beim «Slalom» oder schliesslich der Versuch, schadlos der «Misere» zu entkommen. Ein Sieg kommt dem Happy End gleich, wäre da nicht schon die Revanche angesagt! Nun ist uns ja offiziell das gemeinsame Jassen am Tisch durch das vom Bundesrat angeordnete Notrecht untersagt. Der Entscheid trifft uns hart und zwingt uns, neue Wege zu finden. Unsere Tochter hat uns angeboten, gemeinsam einen virtuellen Jass am Computer zu machen. Wir haben eingewilligt und haben einen «Kaltstart» auf www.jassfederal.ch gemacht. Obwohl ich mich nicht als unaffine Userin bezeichnen würde, kann ich dem virtuellen Jass nicht so viel abgewinnen. Da werden nämlich in Nullkommaplötzlich die Karten verteilt. Die SpielerInnen haben 10 Sekunden Zeit zum Ausspielen, sonst sind sie disqualifiziert. Der «Wys» wird automatisch eingeblendet, ebenso das Zwischen- und Endresultat. Kein Mucks ist zu hören, weder ein Raunen, noch ein freudiges Lachen, noch irgendwelche Zwischentöne. Und das Kopfrechnen, mit welchem ich jeweils noch brillieren kann, übernimmt auch noch der Computer. Vor allem aber kann der Computer den «Coiffeur», meinen Lieblingsjass, nicht!

Fazit: der Jassabend vor dem Computer ist keine Alternative! Lieber Bundesrat, bitte lockere möglichst bald die Massnahmen, lass uns arbeiten gehen, schicke die Kinder in die Schule und gönne den JasserInnen wieder ihre Spielabende! Das wäre eine sinnvolle Antwort auf die Frage «Quoi faire?».