Der Leerstand war von kurzer Dauer

von Luca Hubschmied 31. Mai 2021

An der Wasserwerkgasse 17 hängen wieder Transparente an der Fassade und das Innere der Liegenschaft ist erneut belebt. Ein Kollektiv bekennt sich zur Besetzung und erklärt, das Haus für alle öffnen zu wollen.

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Aktualisierung vom 01.06.2021, 10:00

Auch die Besetzung war von kurzer Dauer. Wie «Der Bund» berichtet, verliessen die sich im Innern der Liegenschaft befindenden sechs Personen das Gebäude gegen 15 Uhr. Kurz zuvor wurde die polizeiliche Räumung angedroht. Energie Wasser Bern kommunizierte mittlerweile, dass die Räume ab August von der Stadt schulisch genutzt werden.

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Am 15. März dieses Jahres wurde ein Haus an der Wasserwerkgasse 17 besetzt. Die Polizei räumte die Liegenschaft drei Tage später mit einem Grossaufgebot und nahm nach eigenen Angaben vier Personen fest. Das Haus in der Matte stand zuvor eineinhalb Jahre leer, nachdem die Werbeagentur Contexta ausgezogen war. Man sei bereits in Verhandlungen mit der Stadt, um in der Liegenschaft Schulräume zu schaffen, liess Energie Wasser Bern – Besitzerin des Gebäudes – nach der Räumung im März verlauten.

Bis die Polizei mit Boot und Drohne sich anschickte, den Räumungsauftrag zu vollziehen, ging die Besetzung leise über die Bühne. Die Besetzer*innen, so wurde gemutmasst, wollten keinen Staub aufwirbeln und der EWB Dialogbereitschaft signalisieren. Daraus wurde nichts, die Gruppe der Besetzer*innen zeigte sich enttäuscht, EWB verwies auf die laufenden Gespräche mit der Stadt.

Jetzt, gut zwei Monate später, ist das Haus wieder besetzt. Wer die Wasserwerkgasse entlangläuft, trifft auf die Transparente, die an der Fassade hängen und verkünden, dass der Leerstand zumindest für den Moment wieder aufgehoben ist.

Farben und Schmetterlinge

Das Kollektiv, das die Liegenschaft nutzen und öffnen will, nennt sich «Mamaté», einige Mitglieder wandten sich schon im Vorfeld der Besetzung an Journal B.  An die Öffentlichkeit richtet sich das Kollektiv am heutigen Montagmorgen mit einem fünfminütigen Video. Darin sprechen die Mitglieder der Gruppe, bunt verkleidet und mit verzerrter Stimme, über ihre Beweggründe und laden ein, das Haus an der Wasserwerkgasse zu besuchen. «Bewegst du die Welt wie es dir gefällt», steht gegen Ende auf dem Bildschirm. Dies der Slogan des Kollektivs. Zuvor fliegen in dem Video farbige Schmetterlinge durchs Bild, im Hintergrund begleiten eingängige Beats das Gesprochene. «Wir wollten uns explizit lösen von diesem klischierten, düsteren Stil, der dem Besetzer*innenmilieu oft zugeschrieben wird», meinte Anja*, ein Mitglied der Gruppe dazu. Der jetzige Leerstand der alten Schreinerei in der Länggasse wird in dem Clip zum Thema gemacht, ebenso wie die Neubauten der Migros an der Moserstrasse im Breitenrain oder der Bäre Tower in Ostermundigen. Die Message ist bekannt: Das Potential von leeren Räumen bleibt ungenutzt, im Fahrwasser der Aufwertungsspirale werden Besetzungen zum Kapitaldelikt gegen die herrschende Ordnung des Eigentums.

Die Aussenwirkung bleibt ein wichtiges Thema, auch klandestin agierende politische Gruppierungen sind sich dessen bestens bewusst. Ein Medienkonzept gehört mittlerweile zu einer derartigen Aktion praktisch dazu. Die Kämpfe über die Legitimation von Besetzung oder Besitz werden heutzutage zu einem guten Teil medial entschieden und diese Definition umfasst weit mehr als die einschlägige Tagespresse. Das Kollektiv «Tripity», welches im Januar ein leerstehendes Gebäude an der Weissensteinstrasse besetzt hatte, hat es vorgemacht: Ihre Präsenz auf den sozialen Medien war beeindruckend, der Auftritt farbenfroh und die Solidarität mit den Besetzer*innen gross. Mittlerweile wurde die Nutzung der Liegenschaft legalisiert.

Politikum Wohnraum

Auch das Kollektiv «Mamaté» postet farbenfrohe Illustrationen zur möglichen Belebung des Hauses auf Instagram. Unpolitisch ist die Aktion deshalb keineswegs. In einem umfassenden Brief trug das Kollektiv zusammen, weshalb die Aneignung durch Besetzung eine angebrachte Tat in Zeiten steigender Mietpreise und sich akzentuierender Verdrängungsmechanismen ist: «Klar ist auch, dass die zunehmende Erhöhung der Mietpreise nicht den Schweizer Mittelstand trifft, sondern finanziell schwächere Menschen, ausländische Leute und nicht zuletzt junge Erwachsene», schreiben sie darin. Die Besetzung der Wasserwerkgasse 17 verstehen sie als direkten Lösungsvorschlag für die Wohnraumproblematik: «Wenn ihr sagt, die Besetzung sei nicht mit geltendem Recht vereinbar, so ist das nur ein Vorwand, um uns die Legitimation abzuschlagen und euch vor der Problematik zu drücken.» Der Brief verweist anschliessend auf das Fabrikool, die denkmalgeschützte alte Schreinerei in der Länggasse und das Betagtenheim Zollikofen. Zwei Gebäude, die nach ihrer Besetzung nun wiederum leer stehen.

Angesprochen auf die Ankündigung der EWB, dass die Räume an der Wasserwerkgasse von der Schule genutzt werden könnten, antwortete Pablo* vor wenigen Tagen: «Wir wollen einer schulischen Nutzung nicht im Weg stehen, aber die Geschichte zeigt, dass aus solchen Plänen meist nichts wird. Das Einzige was realisiert wird, ist ein meterhoher Zaun ums Gebäude.» Er nickte mit dem Kopf Richtung Länggasse, wo an der Fabrikstrasse die ehemals besetzte Schreinerei seit zwei Jahren mit Stacheldraht eingepackt ist. Nach siebzehn Jahren Leerstand wurde die Schreinerei 2017 vom Kollektiv Fabrikool besetzt und während zwei Jahren belebt, bevor es im Mai 2019 zur Räumung kam. Nun pfeift höchstens der Wind durchs Gebäude und ein Sicherheitsdienst dreht still seine Runden ums Haus.

Solidarität mit Effy 29

In einem Konzept, das Journal B vorliegt, beschreiben die Besetzenden die Grundlagen des Zusammenlebens und der Nutzung des Gebäudes an der Wasserwerkgasse. Die Rede ist darin von einer Vollversammlung als oberstes Organ und dass Entscheide mittels Konsens gefällt werden. Nebst beschränktem Wohnraum soll das Haus Platz bieten für Veranstaltungen, Bildungsangebote, sportliche Aktivitäten und Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen. «Keine Selbstbereicherung, kein Konsumzwang, keine fixen Eintrittspreise», hält das Kollektiv in ihren Grundsätzen fest.

Die EWB und die ersten Menschen aus der Nachbarschaft dürften mittlerweile mitbekommen haben, dass hinter diesen Mauern wieder Leben zu finden ist. Gleichzeitig wird heute im Berner Amtshaus der Prozess gegen die 16 Mitglieder des Kollektivs «Oh du fröhliche» eröffnet, die 2017 die Effingerstrasse 29 besetzt hatten und sich nicht ohne Widerstand räumen liessen. Natürlich ist das zeitliche Zusammentreffen kein Zufall. «Die Repressionsschraube wird angezogen, politische Aktionen werden heftig niedergeschmettert, wie die Effy 29 oder die Basel Nazifrei-Prozesse zeigen», erklärte einer der Besetzer der Wasserwerkgasse, «aber wir sagen deutlich: Ihr macht Prozesse, doch wir lassen uns nicht abschrecken.» Wie die Reaktionen ausfallen, aus der Öffentlichkeit, der umliegenden Nachbarschaft und von Seiten der EWB, dürfte sich in den nächsten Stunden bis Tagen zeigen.