Stadtberner Wahlen – eine Analyse

von Werner Seitz 1. Dezember 2020

Am letzten Sonntag stimmte die Stadt Bern den beiden eidgenössischen Volksinitiativen «für verantwortungsvolle Unternehmen» (KOVI) und für ein «Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» mit 75% bzw. 69% zu. Bei den städtischen Wahlen überraschten die historische Frauenwahl und die recht klare Behauptung der vier RGM-Sitze im Gemeinderat.

Stadtpräsidium: Alec von Graffenried unbestritten

Anders als vor vier Jahren waren die Wahlen ins Stadtpräsidium diesmal wenig spektakulär. Der Bisherige Alec von Graffenried marschierte souverän durch: Er erhielt fast 94 Prozent der gültigen Stimmen. Dass aber nicht alle Alec von Graffenried wählen wollten, zeigte sich darin, dass jede achte Person ihren Wahlzettel leer oder ungültig einlegte. Im Westen Berns war dies bei mehr als jedem sechsten Wahlzettel der Fall.

Gemeinderat: Rechtsbürgerliche Liste stürzt ab

Nachdem FDP und SVP bei den letzten Wahlen in die Berner Regierung getrennt angetreten und chancenlos waren, kandidierten sie diesmal wieder auf einer gemeinsamen Wahlliste, dem «Bürgerlichen Bündnis». Die Rechnung ging nicht auf. Das Wahlergebnis war ein Debakel und stellt einen Tiefpunkt für FDP und SVP in der Stadt Bern dar: Sie stürzten von 22 auf 15 Prozent ab. Das ist weniger als die Hälfte der Stimmenanteile, welche diese beiden Parteien in früheren Jahrzehnten jeweils erhalten hatten. Damit verpassten die Rechtsbürgerlichen sogar das Mandat, das in Reichweite schien.

Wie wenig attraktiv die rechtsbürgerliche Wahlliste war, zeigt, dass sie fast 85 Prozent aller Stimmen von der eigenen Wahlliste erhielt. Die Ausstrahlung über die eigene Liste hinaus war gering. Bernhard Eicher holte etwas mehr Stimmen als Thomas Fuchs, und zwar bei der eigenen Liste, bei der Mitte-Liste und bei den Wahlzetteln ohne Bezeichnung. Aber auch er war kein Überflieger.

Bürgerliche Mitte-Liste legt zu

Von den rechtsbürgerlichen Stimmenverlusten profitierte vor allem die bürgerliche Mitte-Liste (CVP, GLP, EVP). Diese steigerte sich von 13 auf 19 Prozent und übertraf damit die notwendigen 17 Prozent für einen Gemeinderatssitz klar. Der wiedergewählte Reto Nause von der CVP holte von den Wahllisten links und vor allem rechts deutlich mehr Panaschierstimmen als Marianne Schild von der GLP. Nause punktete aber auch bei der Mitte-Liste selber stärker als Schild.

RGM kompakt mit unterschiedlichen Profilen

Die RGM-Liste legte ebenfalls an Stimmen zu (+2 auf 64%), was genug war, um ihre vier bisherigen Sitze zu halten. Die vier Kandidierenden schnitten stimmenmässig in etwa gleich stark ab. Die meisten Stimmen holte Franziska Teuscher vom Grünen Bündnis. Sie punktete am stärksten bei der RGM-Liste. Ebenfalls dank mehr Stimmen von RGM überflügelte die neu kandidierende Sozialdemokratin Marieke Kruit die beiden Bisherigen, Michael Aebersold und Alec von Graffenried. Darin dürfte sich auch die «Frauenwahl» zeigen, welche vor allem die Stadtratswahlen charakterisierte. Alec von Graffenried von der GFL, der ebenfalls als Stadtpräsident gewählt wurde, holte dagegen weniger Stimmen von der RGM-Liste und mehr Panaschierstimmen vom «Bürgerlichen Bündnis», von der Mitte-Liste und den Listen ohne Bezeichnung. Dies brachte ihn auf Platz drei, vor dem Sozialdemokraten Michael Aebersold.

Stadtrat: Linksrutsch und erstarkte GLP

Dass die Ergebnisse der Gemeinderatswahlen nicht nur Effekte von Parteienbündnissen waren, sondern ein verändertes politisches Klima, eine veränderte Parteienlandschaft widerspiegeln, zeigen die Wahlen in den Stadtrat. Die kleinen linken Parteien AL und JA!/Junge Grüne sowie das Grüne Bündnis steigerten sich um je ein Mandat. Ebenfalls zugelegt hat die GLP (+3). Zusammen drei Mandate verloren haben FDP und SVP.

Von den kleinen Linksparteien konnten die PdA und die GaP je ihr Mandat halten, die AL steigerte ihre Mandatszahl auf drei, ebenso die JA!, welche sich zum GB zählt. Zusammen mit der JA!/Junge Grüne bildet das GB nun eine 13-köpfige Fraktion. Dagegen verlor die SP einen Sitz. Sie ist aber mit 23 Mandaten immer noch klar stärkste Partei. Die GFL verlor ebenfalls ein Mandat und hat noch deren sieben. Nach diesen Änderungen gehören 48 der achtzig Sitze zu den RGM- und kleinen Linksparteien.

Gewachsen sind auch die bürgerlichen Mitteparteien, dank der GLP, welche nun über elf Mandate verfügt. CVP und EVP konnte je ihre beiden Mandate halten, während sich die BDP mit zwei Mandaten begnügen muss. Vor acht Jahren hatte sie noch acht Mandate inne.

Rechtsbürgerliche im Niedergang

Nach ihren zwei Sitzverlusten besteht die SVP-Delegation noch aus sieben Köpfen, was das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten darstellt. Die FDP verfügt nach dem Verlust eines Mandates noch über acht Sitze: Das ist weniger als die Hälfte der Sitzzahl, welche die FDP noch vor zwanzig Jahren innehatte.

Bis zu den Wahlen von 2000 hatten FDP, SVP und die kleinen Rechtsparteien zum Teil deutlich mehr als dreissig Sitze inne, bei den jüngsten Wahlen sind es noch 15. Ob die Zeit für eine Neupositionierung der FDP noch reicht, ist fraglich, hat die GLP doch bereits Platz genommen und sich recht breit gemacht. Immerhin sind die Gewählten der FDP dem so genannten Reformflügel zuzuordnen.

«Frauenwahl»

Das aufsehenerregendste Ereignis des vergangenen Wahlsonntags war jedoch der massive Vormarsch der Frauen: Sie steigerten Ihre Vertretung auf phänomenale knapp siebzig Prozent.

Dass die Frauen in Städten besser gewählt werden als in ländlichen Gemeinden, kann seit Jahrzehnten festgestellt werden. Dabei zeigt sich jeweils ein deutliches parteipolitisches Verteilungsmuster: Auf den Wahllisten der Grünen und der Linken werden überdurchschnittlich viele Frauen gewählt. Je mehr rechts sich eine Partei positioniert, umso geringer ist der Frauenanteil.

Dieses Muster zeigte sich auch bei den jüngsten Berner Stadtratswahlen, jedoch waren die Zahlen der gewählten Frauen unvergleichlich gross: Bei den kleinen Linksparteien und dem Grünen Bündnis wurden ausschliesslich Frauen gewählt, bei der SP machten die gewählten Frauen fast drei Viertel aus. In der Mehrheit waren die gewählten Frauen auch bei der GFL und der GLP.

Ausschliesslich Frauen delegieren auch EVP und CVP. Überraschend gross ist auch die Frauenvertretung bei der FDP: Sieben Frauen steht ein Mann gegenüber. Dagegen sind die Gewählten von BDP (2) und SVP (7) ausschliesslich Männer.