Bundesplatzbesetzung: Paternalismus ist fehl am Platz

von Rahel Schaad 7. Oktober 2020

Die Klimabewegung kann in der Schule streiken, auf die Strasse gehen oder den Bundesplatz besetzen. Stets muss sie ums Ernst-genommen-werden kämpfen. Über die Ablenkungsmanöver der bürgerlichen Politik und Medien und warum sie unangebracht sind.

Am Montag, dem 21. September 2020, spazieren in den noch dunklen Morgenstunden rund 400 Menschen auf den Bundesplatz. Auf die Minute genau treffen sie dort zusammen mit einigen Fahrzeugen ein, die Material für die geplante Infrastruktur mitbringen. Die Menschen sind zuvor von verschiedenen Schlafplätzen aus gestartet, verteilt in der Stadt Bern. Das genaue Zusammentreffen auf dem Bundesplatz gelingt dank minutiöser Planung im Vorfeld und genauster Koordination während der Besetzungsaktion. Innerhalb von zwei Stunden stehen grosse Aufenthaltszelte, kleinere Schlafzelte, eine Küche, Komposttoiletten und vieles mehr.

Beachtliche Organisation

Der massive Zeit- und Energieaufwand, der hinter der Besetzung des Bundesplatzes durch Klimaaktivist*innen steckt, ist zu erahnen. Schon nur hinter der Unterbringung von mehreren hundert Menschen von Sonntag auf Montag steckt eine Organisationsleistung für sich. Dazu kommt die Organisation, Beschaffung und der Aufbau der grossen Zelte, der technischen Infrastruktur, der Strom- und Wasserversorgung, der Grossküche sowie die Koordination der einzelnen Blockaden. Neben der Tatsache, dass die Klimabewegung so viele Menschen aus der ganzen Schweiz für eine nicht unheikle Aktion mobilisieren konnte, ist vor allem erstaunlich, dass diese Aktionsorganisation tatsächlich im «Untergrund» stattfinden konnte. Dass die Stadt und Politik auf das Ereignis nicht vorbereitet war, zeigt, dass trotz Involvierung vieler Menschen im Voraus keine Informationen an die «falschen Leute» gelangten.

Erstaunlich waren auch die Organisation und Kommunikation auf dem Platz während des Camps. In grossen Plenumsversammlungen wurde über das gemeinsame Vorgehen beraten, Verhandlungspositionen gegenüber der Stadt ausgehandelt, Ämtli im Camp verteilt oder die Räumung des Platzes für den Markt am Dienstag organisiert. Weitere Schritte wurden basisdemokratisch entschieden. Die von allen anerkannte und eingehaltene Maskenpflicht sowie ein allgemeines Alkoholverbot waren bereits im Vorfeld als Aktionskonsens beschlossen worden.

Die Bundesplatzbesetzung von vorletzter Woche steht damit symbolhaft für die Ernsthaftigkeit der Klimabewegung. Dahinter stecken Menschen, viele junge Menschen, denen ihr Anliegen genug Wert ist, unzählige Stunden ihrer Zeit und Energie in die Sache reinzustecken. Rund hundert Aktivist*innen haben sich ausserdem explizit dafür entschieden, Repressionen in Kauf zu nehmen, als sie sich über den Räumungsbefehl der Polizei in der Nacht auf Mittwoch hinwegsetzten und daraufhin von der Polizei abgeführt wurden. Ihnen drohen nun Anzeige wegen Hinderung einer Amtshandlung und Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung und voraussichtlich damit verbundene Geldstrafen von mehreren hundert Franken.

 

Paternalismus und Verschwörungstheorien

Die Überzeugung und Willensstärke der Klimaaktivist*innen hat sich in der Bundesplatzbesetzung einmal mehr verdeutlicht. Und doch muss die Bewegung auch nach dieser Aktion erneut um die Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Forderungen kämpfen. Nicht-Sympathisant*innen der Klimabewegung aus Politik und Medien setzen alles daran, um mit Ablenkungsstrategien von der eigentlichen Thematik abzulenken, dabei lassen sich drei gängige Reaktionsmuster festmachen:

 

  • 1. Paternalismus:

Die Aktivist*innen werden als «Klimajugend» oder «Klimakids» bezeichnet. Durch diese Verniedlichung wird die Bewegung als eine Art pubertärer Übermut abgetan, deren Anliegen, da hormonell bedingt, nicht allzu ernst genommen werden müssten. Ein Paradebeispiel für eine solch herablassende paternalistische Perspektive ist der Artikel des «Bund» vom 26. September mit dem Titel «Zu viel Empörung für eine harmlose Aktion». Darin wird die Bundesplatzbesetzung unter anderem als «rührend» beschrieben. «Zugespitzt formuliert» sei es nichts anderes gewesen als «eine Gruppe Jugendlicher», die «auf dem Bundesplatz gezeltet» habe. Gegen die Verniedlichungsstrategie der Öffentlichkeit kämpft die Bewegung seit Beginn der freitäglichen Klimastreiks und die Aktivist*innen haben sich auch bereits mehrfach dagegen geäussert.

 

  • 2. Verschwörungstheorien über geheime Konspirationen aus dem Ausland

In eine andere Schublade der Abwehrstrategie griffen einige bürgerliche Politiker*innen. Ihrer Meinung nach sind die Aktivst*innen vom Ausland her instrumentalisiert, gesteuert und finanziert worden. So ist der FDP-Nationalrat Peter Portmann überzeugt, dass eine ausländische Organisation «die ganze Medienarbeit, […], die ganze Kommunikation übernommen» und die «jungen Leute» zudem für die Aktion «trainiert» hätte, wie er sich gegenüber «Nau» äusserte. Das Motiv von ausländischen Drahtzieher*innen ist übrigens eine beliebte Strategie von autoritären Machthabern um Oppositionsbewegungen zu verleumden und zu delegitimieren. Aktuelle Beispiele dazu finden sich in Belarus, in Russland oder im China-Hongkong-Konflikt.

 

  • 3. Angebliche Unterstützung der Stadt

Aus ähnlicher Windrichtung kommt der Vorwurf, die Stadt Bern habe sowohl von der Aktion gewusst als auch tatkräftig unterstützt. FDP-Nationalrat Marcel Dobler sieht in den angezapften Strom- und Wasserleitungen den Beweis für die städtische Hilfe an der Aktion. Dass die Stadt Bern die Besetzung eine Zeitlang geduldet habe, ist für ihn falsch: «Es war keine Duldung, es war eine Unterstützung durch die Behörden.» Doblers These wurde von der Zeitung «Die Ostschweiz» ausgebreitet und von sogenannt «mehreren Quellen» gestützt. Wer diese «Quellen» gewesen sein sollen, wurde nicht genannt und konnte von anderen Medien nie verifiziert werden.

Ablenken, statt diskutieren

Diese teils unbeholfenen Reaktionen und Argumente der Klimabewegungsgegner*innen sorgen zwar zwischendurch für belustigtes Schmunzeln, gerade wenn sie in die Ecke von Verschwörungstheorien abdriften. Doch am Ende dienen sie vor allem einem Ziel: Indem über die Legitimation der Aktion verhandelt wird, wird der eigentlichen Diskussion – nämlich über die inhaltlichen Forderungen der Aktivist*innen – aus dem Weg gegangen. Gegen diese Ablenkungs- und Verniedlichungsstrategien kämpft die Klimabewegung seit Beginn der freitäglichen Demonstrationen. Die Besetzungsaktion auf dem Bundesplatz entstand folglich auch, nach eigenen Angaben der Aktivist*innen, aus der Notwendigkeit, ihren Forderungen mittels radikalerer Ausdrucksformen als bisher Gehör zu verschaffen.

Zur Aktion auf dem Bundesplatz haben die Klimaaktivist*innen einen Forderungskatalog publiziert, der nicht beim Thema Treibhausgasreduktion aufhört. Darin werden nachhaltige Reformen im Bereich Landwirtschafft, Finanzsektor, Demokratie, Klimagerechtigkeit, Infrastruktur und Energie verlangt. So werden beispielsweise «klimagerechte Finanzflüsse», die «Sicherung gerechter Einkünfte für die kleinbäuerliche Landwirtschaft» und eine solidarische und gerechte Bewältigung von Umweltverschmutzung und Klimakrise gefordert. Dazu kommen Forderungen nach mehr proaktivem Einbezug «aller Bürger*innen in die Entscheidungsprozesse über die Gestaltung aller Lebensbereiche» und die «Umstrukturierung des Energiesektors». Das vollständige Forderungspapier ist hier zu lesen: https://www.riseupforchange.ch/forderungen

Die Besetzung des Bundesplatzes hat einmal mehr gezeigt, wie ernst es die Klimabewegung mit ihren Anliegen meint. Ablenkungsstrategien als Reaktion auf die Aktion und deren Forderungen sind fehl am Platz. Es ist (seit langem) höchste Zeit, dass nicht die Legitimation der Klimabewegung, sondern ihr Inhalt verhandelt wird. Es muss also darüber gesprochen werden, wie die Schweiz ihre «historische und globale Verantwortung für die Klimakrise» übernehmen und entsprechend handeln kann, wie ein Investitionsstopp in klima- und umweltschädliche Projekte und Unternehmen gelingen kann oder wie «Produktion, Konsum und Wohnen angepasst» werden müssten, «um die CO2-Neutralität gewährleisten» zu können.