Den Kapitalismus ins Museum bringen

von Luca Hubschmied 8. Oktober 2019

Auf der Schütz hat das Museum des Kapitalismus seine Türen geöffnet. Während einem Monat erfahren die Besuchenden hier mehr über Bedürfnisse, Utopien und Mechanismen im kapitalistischen System.  

Über dem hölzernen Eingangstor, das den Weg in die südliche Hälfte des grossen Zelts auf der Schützenmatte frei macht, prangt seit wenigen Tagen ein neuer Schriftzug: Museum des Kapitalismus. Ausgerechnet hier in diesem Perimeter mit Parkplatzvergangenheit, umgeben von Bars und benachbart von der Reitschule lässt sich also neuerdings unser vorherrschendes Wirtschaftssystem in geschütztem Rahmen erleben. Die Ausstellung im Innern besteht aus sechs Themenblöcken: Bedürfnisse und Ausgrenzung, Stadt und Kapitalismus, Mechanismen des Kapitalismus, Krise und Wettbewerb, Kolonialismus und Jenseits des Kapitalismus.

Die Exponate des Museums laden ein zum Anfassen und Mitmachen, gebaut wurden alle in unentgeltlicher Eigenarbeit. Das vielköpfige Kollektiv, das hinter dem Museum steckt, schreibt auf ihrer Website, man halte «die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus für eine wichtige und gänzlich ausgeklammerte im hiesigen Bildungssystem.» Journal B durfte am Eröffnungswochenende mit Maria und Lena sprechen, die Teil des Kernkollektivs sind.

 

Seit letztem Samstag sind die Türen des «Museum des Kapitalismus Bern» während eines Monats geöffnet. Wie ist das Projekt entstanden?

Maria: Einige Menschen aus  unserer Gruppe hatten vor ein paar Jahren das Museum des Kapitalismus in Berlin besucht und fortan die Idee, etwas Ähnliches in Bern umzusetzen. Vor etwa einem Jahr haben wir begonnen, daran zu arbeiten und seit 6 Monaten sind wir intensiv damit beschäftigt.

Lena: Und seit vier Wochen sehr intensiv (lacht).

Wir erleben den Kapitalismus tagtäglich in verschiedenen Facetten. Warum braucht es ein Museum dazu?

Maria: Fraglich ist, wie bewusst wir das im Alltag wahrnehmen können. Wir wollen in dem Museum grundsätzliche Mechanismen des Kapitalismus zeigen und erklären. Das Museum ist sehr interaktiv, das gibt einen noch einen anderen Zugang als das, was du tagtäglich erlebst. Die Ausstellung richtet sich auch an jüngere Leute ab etwa 14 Jahren. Wir versuchten unsere Texte altersgerecht zu schreiben und teils auch zu vereinfachen. Trotzdem sollen sie inhaltlich stimmen.

Lena: Es gibt im linken Polit-Kuchen viele Diskussionen über das kapitalistische System. Das Museum des Kapitalismus soll aber einen niederschwelligen Zugang bieten, auch für Leute, die nicht schon zahlreiche theoretische Texte zum Thema gelesen haben.

Maria: Andererseits dürfte die Auseinandersetzung auch für Menschen, die sich bereits damit befasst haben, interessant sein. Das Anschauen und Anfassen eröffnet einem nochmal ein anderes Verständnis.

Welche kapitalistischen Strukturen beschäftigen euch in eurem Leben?

Maria: Zum Beispiel alles, bei dem Geld im Spiel ist. Wir befinden uns aber in einer sehr privilegierten Situation…

Lena: …das zeigt sich schon nur darin, dass wir die Möglichkeit haben, ein solches Projekt wie das Museum des Kapitalismus umzusetzen.

Maria: In der Frage, wie wir unser Leben finanzieren können, bemerke ich in meinem Umfeld eine grosse Ungleichheit. Die Frage nach der Lohnarbeit nimmt in unserem Leben viel Raum und Zeit ein und es gibt verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen oder die Lohnarbeit zu reduzieren.

Lena: Es ist schwierig, einen Bereich hervorzuheben aber die alltägliche Ungleichheit beschäftigt mich schon sehr, auch wenn wir, die in der Schweiz leben, oft auf der privilegierten Seite stehen. Aktuell ist die Frage nach globaler Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit sehr präsent. Auch Leistungsdruck und Stress sind mit dem Kapitalismus verbundene Probleme, die ich oft erlebe.

Ihr habt erwähnt, nicht nur Interessierte aus linken Kreisen ansprechen zu wollen. Vermittelt ihr denn eine politische Haltung?

Lena: Ich denke, das Museum vermittelt als politisches Bildungsprojekt durchaus eine politische Haltung, das erklärt sich nur schon durch die Hintergründe unserer Gruppe. Die Ausstellung richtet sich aber auch an Menschen, die nicht unbedingt der Meinung sind, Kapitalismus gehöre ins Museum. In der Ausstellung kann man viel über Bedürfnisse in unserem Alltag lernen, das ist unabhängig der politischen Einstellung eine spannende Erfahrung. Trotzdem endet der Rundgang mit dem Themenbereich «get active» oder «jenseits des Kapitalismus», damit wollen wir einen Raum schaffen, um über Utopien und eigenes politisches Handeln nachzudenken.

Was erhofft ihr euch, was die Besuchenden des Museums mitnehmen können?

Maria: In erster Linie wollen wir die Menschen zum Denken anregen. So ist es mir bei dem Museum in Berlin ergangen.

Lena: Wenn man Kapitalismuskritik übt, kommt immer gleich die Bemerkung: «Was ist denn dein Vorschlag?» Und diese Lösung hält niemand einfach so bereit. Aber es gibt viele Möglichkeiten im Kleinen anzufangen,  Alternativen zu schaffen und den Alltag entlang von Bedürfnissen anstatt der kapitalistischen Verwertungslogik zu organisieren.

Auch ein Museum des Kapitalismus muss finanziert werden. Wie seid ihr das angegangen?

Lena: Die Finanzierung war ein grosser Diskussionspunkt. Wir haben zwar den Slogan «Den Kapitalismus ins Museum bringen», sind selbst aber nicht losgelöst von kapitalistischen Strukturen und dementsprechend auf Geld angewiesen. Wir wollten explizit keine grossen Institutionen anfragen, deren Beiträge an Bedingungen gekoppelt wären. Daher haben wir einige Solianlässe veranstaltet und ein Crowdfunding gestartet um Geld zu sammeln. Der Hintergrund dieser Finanzierungsart liegt auch darin, dass wir das Museum für alle zugänglich machen wollen, das heisst ohne fixe Eintrittspreise.

Das Museum steht noch bis am 2. November auf der Schützenmatte. Was geschieht anschliessend damit?

Maria: Dieser Monat auf der Schütz dient uns gewissermassen als Probelauf. Wir freuen uns auf inhaltliche und formale Rückmeldungen und Kritik. Am Ende des Monats werden wir sicher Dinge überdenken oder anpassen wollen. Die Elemente der Ausstellung bleiben uns erhalten und wir würden diese gerne weiter verwenden. Zum Beispiel für eine Wanderausstellung in anderen Städten oder für einen dauerhaften Standort in Bern, wenn sich diese Option bietet.