Migrantinnen melden sich zu Wort

von Rita Jost 22. Mai 2019

Sie heissen Irina, Karmen, Zaher, Anna, Faten, Perla, Kanchana, Xenia, Parul und Maya. Sie sind Migrantinnen. Aber was viel wichtiger ist: sie sind Medienprofis. In der Schweiz können sie derzeit ihren Beruf nicht ausüben. Darum haben sie die Onlineplattform «Lucify» gegründet. Ein Besuch auf der Redaktion im Progr.

Der Raum im ehemaligen Schulhaus auf dem Waisenhausplatz war wohl mal das Lager für Schulbücher, Geografiewandkarten oder ausgestopfte Tiere. Ein schmaler Durchgang bloss. gerade breit genug für zwei Arbeitsplätze, eine Kaffeemaschine, einen Tisch, zwei Stühle und einen Sessel. An der Wand hängen Plakate, Fotos, Sprüche, ein Terminplaner. Hier arbeitet das Berner Team von «Lucify», dem Online-Medium für Migrantinnen und für Menschen, die sich für multikulturelle Themen interessieren.

Ein anderes Bild vermitteln

Irina, eine rumänische Psychologin, hatte in ihrer Heimat eine eigene TV-Sendung, in der sie wöchentlich Themen aus ihrem Fachgebiet aufbereitete. Sie lebt seit fünf Jahren in Bern, ist verheiratet mit einem katalanischen Arzt und hat zwei Kinder. In der Schweiz fand sie trotz einem Nachdiplomstudium in internationalem Management keine Arbeit. Bis ihr jemand von Lucify erzählte. Seither ist sie als Buchhalterin und Journalistin bei Lucify im Einsatz. Ein Zehnprozent-Job. Für soviel ist sie bezahlt. «Aber natürlich», sagt die 37-jährige, «arbeite ich viel mehr.» Doch das spiele keine Rolle, ihr gefalle die Arbeit und sie ist überzeugt, dass Lucify eine wichtige Aufgabe erfüllt: «Wir vermitteln ein anderes Bild von Migrantinnen.» Das Bild nämlich, dass die Ausländerinnen, die hier wohnen, in ihrer Heimat eine gewichtige Stimme waren. Als Videojournalistinnen, TV- oder Radiomoderatorinnen oder Webmasterinnen. Aus sprachlichen Gründen können sie hier nicht auf ihrem Beruf arbeiten. Aber sie möchten ihre Fachkenntnisse einsetzen. Denn: Über Migration und MigrantInnen sollen nicht nur die anderen berichten, sondern auch die Betroffenen selber. Und Migrantinnen brauchen auch hin und wieder Informationen, die sie in den Schweizer Medien nicht erhalten.

Das Stand-up-Comedy-Projekt

So denkt auch Karmen, die 48-jährige Kolumbianerin. Die Grafikdesignerin hat in ihrer Heimat jahrelang ein Projekt für indigene Frauen betreut. «Ich war Aktivistin», sagt die selbstbewusste Frau, die mehrere Jahre bei der UNO als Fachfrau für Indigene arbeitete und seit 2011 in Bern verheiratet ist. «Weil ich hier nicht auf meinem Beruf arbeiten kann, kreierte ich mir einen Job», sagt sie lachend. Und nun arbeitet auch sie 10 Prozent für die Onlineplattform. Daneben betreut sie ein Stand-up-Comedy-Projekt, das jüngste «Kind» von Lucify. Zwei Beiträge sind bisher produziert worden, weitere sollen folgen. «Wir haben einen Aufruf gestartet. Die Leute sollen uns Geschichten aus ihrem Alltag erzählen, wir machen dann eine Comedy daraus.» Das Projekt macht ihr sichtlich Spass. Und der Test vor Publikum am Anti-Rassismustag ist voll gelungen.

Rezepte, Politik und Lebenshilfe

Unter den Themen, die Lucify regelmässig online stellt, sind auch politische Beiträge – verfasst z.B. von der syrischen Journalistin – und Tipps für das Zusammenleben, die Kindererziehung sowie Kochrezepte. Die Audio- oder Videobeiträge sind professionell gestaltet, und sie werden immer zweisprachig aufgeschaltet, damit auch Schweizerinnen und Schweizer angesprochen sind. Das ist mitunter erhellend. So liest man/frau beispielsweise im Erfahrungsbericht der mazedonischen Kulturvermittlerin Maya Taneva, was Migrantinnen bei der Jobsuche erleben. Als Maya ihren Lebenslauf einreichte, ist ihr schmerzlich klar geworden, dass ihre bisherige Tätigkeit in der Schweiz nicht zählt: «Die einzig gültige Referenz für den schweizer Jobmarkt war die hier absolvierte Ausbildung zur Pflegeassistenz.» Dabei habe sie doch in ihrer Heimat Erfahrungen gesammelt als Grafik-Designerin, Eventmanagerin, mit Medienarbeit, Copywriting, Marketing etc. All die Verlagshäuser, für die sie gearbeitet habe, die Magazine, die Vorlesungen, die Werbeaktionen: im Schweizer Arbeitsmarkt waren sie wertlos.

Die Angst und die Vorurteile der Menschen hier verhindere oft eine Begegnung auf Augenhöhe sagt eine andere Autorin, das seien für sie die grössten Hürden für ihre Integration: «Wenn ich es schaffe, diese Brücke herzustellen, dann passiert die Kommunikation. Das ist, glaube ich, die Lösung: miteinander Tee trinken, reden. Das hilft. Wenn man sich für einander interessiert, dann kommt man sich näher.»

Lucify arbeitet daran. Mit einem Minibudget und viel Womanpower.