Keine lauen Kompromisse!

von Seraina Patzen 11. September 2015

«Es braucht klare linke Positionen und Visionen. Wir müssen sagen, was wir denken und es auf die Strasse und in die Parlamente tragen. Damit die Vision einer anderen Welt für mehr Menschen denkbar wird.»

Kurz vor den Wahlen geht es von rechts bis links wieder darum, möglichst gut dazustehen, möglichst vielen potenziellen WählerInnen zu gefallen, möglichst viele Noch-nicht-Politikverdrossene dazu zu bringen, die richtige Liste in die Urne zu werfen. Nur schade, dass das für viele auch bedeutet, möglichst «mehrheitsfähige» Positionen zu vertreten. Denn «mehrheitsfähig» heisst für viele Linke leider nur zu oft, einen lauen Kompromiss einzugehen, ohne vorher auch nur versucht zu haben, für seinen eigenen Standpunkt zu kämpfen. Was dazu führt, dass viele, die sich als links bezeichnen würden, sich plötzlich der Mitte anbiedern. Nur ja keine zu radikalen Ansichten vertreten, weil sonst die Gunst der Unentschlossenen verspielt werden könnte.

Aber so geht das nicht. Gerade jetzt, wo RechtspopulistInnen gegen Flüchtlinge hetzen, die Menschenrechte in Frage stellen, mit sogenannter «Selbstbestimmung» die Abschottung der Schweiz vorantreiben wollen und damit möglicherweise auch noch die Wahlen gewinnen, braucht es klare linke Positionen und Visionen. Keine Anpassung der Wortwahl, keine Annäherung an die Mitte. Wir müssen sagen, was wir denken und es auf die Strasse und in die Parlamente tragen. Damit die Vision einer anderen Welt für mehr Menschen denkbar wird.

Dies sind sechs Punkte, sechs Visionen, die mir wichtig sind und für die ich ohne Kompromisse einstehe.

• Das Geschäft mit dem Tod stoppen: Jährlich exportiert die Schweiz Waffen im Wert von 500 Millionen Franken. Die Kriegsmaterialverordnung wurde 2014 sogar noch gelockert, weil die Schweizer Rüstungsindustrie gegenüber den europäischen Konkurrenten angeblich benachteiligt sei. Es braucht endlich ein Verbot von Kriegsmaterialexporten sowie ein Verbot von Investitionen in Rüstungskonzerne.

Konzerne zur Verantwortung ziehen: Multinationale Konzerne kontrollieren zwei Drittel des Welthandels. Viele dieser Konzerne haben ihren Sitz in der Schweiz. Sie müssen ihre globale Verantwortung wahrnehmen. Die Schweiz muss verbindliche Standards festlegen, woran sich Konzerne wie Nestlé, Glencore oder Syngenta bei ihren internationalen Geschäften zu halten haben. Es darf nicht sein, dass der «Wirtschaftsstandort Schweiz» wichtiger ist als die Menschenrechte.

Widerstand gegen die neoliberale Logik: «Mehr Wachstum dank mehr Handel, weniger Regulierungen, mehr Konkurrenz und niedrigeren Löhnen.» Dass diese neoliberale Logik nicht aufgehen kann, hat der Zustand der Welt doch längst bewiesen. Unter Einfluss multinationaler Konzerne führt die Schweiz aber momentan Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Tisa. Das Ziel ist die Liberalisierung von Dienstleistungen, von der Energieversorgung über die Bildung bis hin zur Alterspflege. Die EU führt mit den USA Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP. Bei Abschluss der Verhandlungen entstünde die «grösste Freihandelszone der Welt» – auf Kosten von Umweltschutz und gesundheitlichen und sozialen Standards. Gegen diese neoliberalen, undemokratischen Verhandlungen ist Widerstand gefragt!

• Öffnung aller Grenzen: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, selber zu bestimmen, wo er oder sie leben möchte, ein Recht auf Bewegungsfreiheit. Grenzen gehören abgeschafft, sie schützen ungerechte Privilegien. Dabei geht es nicht um das neoliberale Konzept der freien Zirkulation von Arbeitskräften. Löhne und Arbeitsbedingungen müssen geschützt werden. Ansonsten sehe ich aber nicht ein, was dagegen spricht, dass jeder Mensch selber bestimmt, wo er oder sie sich aufhalten möchte. Von dieser Vision sollte für mich linke Migrationspolitik ausgehen.

Gegen mehr Überwachung: Bei der aktuell in den Räten verhandelten Revisionen des Nachrichtendienstgesetzes und des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) geht es um unsere Grundrechte. Die Kompetenzen des Nachrichtendienstes sollen massiv ausgebaut werden. Geheimdienste, Kameras, Gepäckkontrollen und Trojaner sollen angeblich für Sicherheit sorgen. Unter dem Motto «Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten» werden die Kompetenzen der Geheimdienste rund um die Welt erweitert, ihre demokratische Kontrolle hingegen bleibt so prekär wie eh und je. Mehr Überwachung bringt uns nicht mehr Sicherheit, sondern beschneidet unsere Freiheit.

• Ein würdiges Leben für alle: Es kann nicht sein, dass um jeden Franken, der eine sozialhilfebeziehende Person bekommt, eine nationale Debatte geführt wird, während am anderen Ende der Skala Steuererleichterungen und Pauschalbesteuerung gewährt werden. Im Kanton Bern kann man es momentan gut beobachten: Wenn gespart wird, passiert das immer bei den Ärmsten. Bei der Sozialhilfe, bei den Prämienverbilligungen oder bei den Ergänzungsleistungen. Es ist eine grundlegende Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch ein würdiges Leben führen kann, unabhängig von seiner Leistung. Dieses Bewusstsein muss ins Zentrum der politischen Debatten rücken.