Das EWB soll Wohnungen planen

von Fredi Lerch 1. Oktober 2013

Der Gemeinderat hat entschieden: Das Gaswerkareal in Bern soll in «relevantem Mass» mit Wohnungen überbaut werden. Das ist ein Paradigmenwechsel. Und die Losinger Marazzi AG organisiert die Testplanung. Das ist ein Ärgernis.

«Wer betreibt eigentlich Stadtplanung in dieser Stadt?», fragt die Gesellschaft für Stadt- und Landschaftsentwicklung (SLG) in ihrem Jahresbericht 2012/2013. Anlass zu dieser Frage gibt ihr die Fachveranstaltung, die sie selber am 16. April 2013 unter dem Titel «Gaswerkareal – Brache, Freiraum oder Wohnort der Zukunft?» durchgeführt hat.

Die Ankündigung war spannend: Redner war unter anderen Alec von Graffenried als Vertreter der Losinger Marazzi AG. Im Auftrag der Grundeigentümerin des Gaswerkareals, der «Energie Wasser Bern» (EWB), hatte diese Firma die Arealentwicklung vorangetrieben und in diesem Zusammenhang 2012 drei Workshops durchgeführt. Das Publikum erwartete deshalb Neues zu dieser Planung.

Die Veranstaltung war dann eine Enttäuschung: Neues war nicht zu erfahren, sondern lediglich, dass Losinger Marazzi dem Gemeinderat einen Schlussbericht zum Workshopverfahren zugestellt habe, weshalb der Ball nun dort liege. Seither herrschte einen Sommer lang Funkstille.

Die Stadtregierung beschliesst das weitere Vorgehen

Am 18. September hat der Gemeinderat nun das weitere Vorgehen beschlossen: Er gab grünes Licht für die nächste Phase, die Testplanung. Damit beauftragt hat er nicht das für die Entwicklung des öffentlichen Raums zuständige Stadtplanungsamt, sondern die Grundeigentümerin EWB und damit die Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG, der niemand die fachliche Kompetenz, aber auch nicht die handfesten privaten Interessen absprechen wird.

Der gemeinderätliche Entscheid fiel wohlüberlegt: Bereits im Workshopverfahren wirkten zahlreiche Ämter der Stadtverwaltung mit. Der Schlussbericht zum Workshopverfahren wurde dann sämtlichen Direktionen zur Vernehmlassung zugestellt. Zudem wurde ein Expertenbericht mit Stimmen aus den Bereichen Städtebau, Landschaftsarchitektur und Soziologie eingeholt. Das Stadtplanungsamt formulierte dann den Antrag, den der Gemeinderat nun gutgeheissen hat.

Die Eckdaten des Gemeinderatsbeschlusses

Es gibt eine Frage, die man leicht übersehen könnte. Vorausgesetzt, das EWB und die Marazzi Losinger AG seien keine gemeinnützigen Organisationen, die der Stadt Bern mit einer Arealentwicklung unter die Arme greifen möchten: Welche Interessen haben die beiden Firmen, die Kosten für diese Planungsarbeiten zu tragen?

Interesse 1: Das EWB muss den von der seinerzeitigen Gasproduktion verseuchten Untergrund des Areals sanieren und ist vom Kanton her unter Druck, die Arbeiten bis 2015 auszuführen. Die entstehenden Gruben sollen nicht einfach mit Aareschotter, sondern mit Liegenschaften aufgefüllt werden, damit so ein Teil der Kosten für die Sanierung der Altlasten gedeckt werden können.

Interesse 2: Der Gemeinderat hat einen Entscheid gefällt, der es sowohl für den Grundeigentümer als auch für den Totalunternehmer attraktiv macht, sich im Sinn einer Vorinvestition weiterhin zu engagieren: Auf dem Gaswerkareal soll neuerdings Wohnungsbau «in relevantem Mass» – konkret: im Umfang von bis zu 50000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche – geprüft werden.

Hoppla! Gibt es nicht die Aareraumplanung vom Juli 2008, die vorsieht, dass «bauliche Verdichtung für Wohnnutzung» lediglich «entlang der Sandrainstrasse möglich» sein soll (S. 46) nach dem Grundsatz: «Der Aareraum ist eine durchgehende Parklandschaft vom Flusslauf bis zur Hangkante» (S. 42)? Und gibt es nicht die «Quartierplanung Stadtteil III» vom November 2012, die auf dem Gaswerkareal zwar die «Überprüfung von Wohnnutzungspotenzialen» vorsieht, aber eben auch das «Stärken städtebaulicher und freiraumplanerischer Entwicklungen sowie weiterer Entfaltung als hochqualifizierte Kultur- und Freizeitinfrastruktur» (S. 68)?

Mit dem politisch freihändig gefällten Entscheid folgt der Gemeinderat nun seinen Vorgaben zur Wohnbauförderung in den Legislaturrichtlinien 2013-2016. Mit der Zulassung von grob geschätzt 300 Wohneinheiten à 125 Quadratmeter ist es möglich, Private für die weitere Planung zu interessieren.

Zu Besuch bei Stadtplaner Mark Werren

In seinem Büro erläutert der Stadtplaner Mark Werren das weitere Vorgehen. Federführend organisiert nun die Losinger Marazzi AG die Testplanung. Strategisch leitet ein Lenkungsausschuss, in welchem unter anderen der Stadtplaner, der Liegenschaftsverwalter und (ab Anfang 2014) der neue Stadtbaumeister vertreten sind. Nach dem Vorschlag dieses Lenkungsausschusses werden ein bernisches, ein schweizerisches und ein internationales Planungsteam eingeladen, in einem «diskursiven Verfahren» – also nicht unter Wettbewerbsbedingungen – gemeinsam zu arbeiten.

Neben dem «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz», der Forderung nach «qualitativ hochstehendem und identitätsstiftendem Freiraum» sollen «optional» auch die 50-Meter-Schwimmhalle und das Jugendzentrum Gaskessel in die Planung einbezogen werden. Ziel ist ein «Richtprojekt», das dem Gemeinderat als Basis für den Planerlass dient, der wegen der neuen, nun mehrheitlichen Wohnnutzung zwingend dem Volk vorgelegt werden muss. Für die Realisierung des beschlossenen Projekts wären dann später ebenfalls zwingend Architekturwettbewerbe durchzuführen.

Mark Werren sagt: «Ich hätte diese Arbeit als Stadtplaner gerne selber gemacht.» Er sieht aber drei Gründe, «warum der Gemeinderat nachvollziehbar anders entschieden hat»:

• Das Stadtplanungsamt hat zu wenig personelle Ressourcen. – Hinter diesem Argument steckt eine alte Geschichte: Schon Werrens Vorgänger Christian Wiesmann ist im Stadtrat mit dem Budgetantrag für die Ausarbeitung eines neuen Stadtentwicklungskonzepts respektive die Planung eines neuen Stadtquartiers viermal hintereinander gescheitert und hat danach gekündigt, weil er, so Wiesmann, «Stadtplanung ohne strategische Stadtplanung» nicht mehr habe verantworten können. Es scheint der politische Wille des Berner Parlaments zu sein, das Stadtplanungsamt von seiner Arbeit über das Tagesgeschäft hinaus möglichst fernzuhalten.

• Der Gemeinderat ist der Meinung, es sei vertretbar, dem Grundeigentümer «Energie Wasser Bern» als stadtnahem Regiebetrieb weiterhin die Federführung zu überlassen.

• «Die Marazzi Losinger AG hat auf eigenes Risiko planerische Vorleistungen gemacht, die das EWB und nun auch den Gemeinderat nutzen möchten.» In dieser Situation mit der Evaluation eines neuen Entwicklers zu beginnen, würde Zeit brauchen, die es nicht gibt, wenn das Areal bis 2015 saniert und bei dieser Gelegenheit die entstandene Grube überbaut werden soll.

Journal B bleibt dran.