Ja sagen und weiterdenken

von Christoph Reichenau 3. September 2013

Ich werde am 22. September Ja stimmen zur Zone für Wohnexperimente in Riedbach, denn es gibt keine bessere Lösung. Aber dann muss weiter gedacht werden, weil es für den Wunsch nach günstigem Wohnraum neue Ansätze braucht.

Ich sage Ja, weil ich das Bedürfnis nach günstigem, mobilem Wohnen für berechtigt halte. Ja, weil ich im vorgeschlagenen Zonenplan unter den gegebenen Umständen den einzig gangbaren Weg sehe. Ja, weil ich den konstruktiven Ansatz von Gemeinde- und Stadtrat unterstütze.

In Erich Kästners Kinderroman «Das fliegende Klassenzimmer» (erschienen 1933) spielt der Nichtraucher, ein älterer Freund der Schüler, eine wichtige Rolle. Er heisst so, weil er in einem ausrangierten Eisenbahnwaggon wohnt, eben einem Nichtraucher. Abgestellt ist der Wagen direkt neben einer Schrebergartenkolonie. Wenn der Nichtraucher Zeit hat, legt er sich ins Gras und liest in einem Buch.

Der sympathische Nichtraucher ist ein Vorfahre der Stadtnomaden. Sein Portrait könnte ihres sein. Mit zwei Ausnahmen: Der Eisenbahnwagen steht nicht in einer Hüttendorfzone. Und mit dem friedlichen Nebeneinander von Schrebergärten und rollendem Wohnen ist es nicht mehr weit her. Deshalb müssen heute abgetakelte Bauwagen und ihre altersschwachen Traktoren möglichst peripher abgestellt werden; in der Abstimmungsbotschaft ist mehrmals die Rede vom «äussersten Westen» der Stadt. Im Klartext: Aus den Augen, aus dem Sinn. Das ist der Preis für eine politische Lösung, schade, aber annehmbar.

Buech als Warnung für die neue Zone

Etwa zwei Kilometer östlich der vorgesehenen neuen Zone, in Buech, liegt ein vergleichbarer Ort, der Ganzjahresstandplatz für Fahrende: Fassade einer fahrenden Lebensweise, die auf die Erinnerung daran und gelegentliche Ausflüge geschrumpft ist. Buech muss für die neue Zone Riedbach eine Warnung sein. Das löbliche Bestreben, eine rechtlich korrekte und politisch verträgliche Lösung zu finden, darf nicht zum von niemandem gewollten Ersticken des Anliegens selbst führen – zum Stutzen der Flügel des nomadisierenden Wohnens, das gerade nicht Wurzeln schlagen will. «Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen» (Ödön von Horvath).

Es gibt eine zweite Warnung: Zaffaraya. Was 1987 Aufbruch und Aufruhr war, ist auf dem Autobahnzubringer Neufeld zu einer Gartenlaube geworden: einer geschlossenen Datschensiedlung. Die Gefahr erscheint mir real. Wenn alle derzeit in Stadt und Agglomeration nomadisierenden Gruppen sich auf den 6000 Quadratmetern in Riedbach niederlassen, wird der Platz eng. Für viele Neue reicht es nicht; aber solche wird es geben, je höher die Mieten in der Stadt und der Region steigen.

Individuelle Lebensentwürfe müssen möglich sein

Hier liegt das «harte Problem»:  Wer gemäss allgemeingültigem Standard wohnen will, muss recht anständig verdienen, muss eine regelmässige Arbeit haben mit fester Stelle und zumindest einem Teilpensum. Für die meisten ist die bürgerliche Lebensweise selbstverständlich. Auch für mich. Wenige wollen sich nicht derart einzwängen lassen und sind bereit, auf Komfort zu verzichten. Dem stehen allerdings – die Abstimmungsbotschaft des Gemeinderats schildert dies gut – viele Regeln entgegen, darunter das Planungsrecht. Aber in einer liberalen Sichtweise müssen individuelle Lebensentwürfe in Selbstverantwortung möglich sein – oder möglich gemacht werden.

Dafür genügt eine einzige Zone für Wohnexperimente in Riedbach nicht. Es braucht zwei oder drei solcher Zonen. Warum nicht in Gemeinden der Agglomeration, zum Beispiel im Gegenzug zu den Kultureinrichtungen in der Stadt? Und es braucht – weiter gedacht – neue Formen des Wirtschaftens, Wohnens und Lebens, wie sie etwa in der Diskussion über die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen aufscheinen. Das ist nicht einfach. Das liegt weit weg. Aber es lohnt sich, die Debatte aufzunehmen. Aus linker und vor allem aus liberaler Überzeugung.

Meine Losung: Ja sagen (es gibt derzeit nichts Besseres) und weiterdenken (es braucht neue Ansätze).