Farbige Frau spricht mit weissem Mann

von Fredi Lerch 23. April 2021

Im Polit-Forum Käfigturm haben Yeboaa Ofosu und Lukas Bärfuss über «Diversität, Gender und Identität» diskutiert. Vieles wurde thematisiert, nicht immer waren die beiden einer Meinung. Beeindruckt hat die gleiche Augenhöhe in der Differenz.

Etwa nach vierzig Minuten zückt der Schriftsteller Lukas Bärfuss, zurzeit «Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern, sein neuestes Buch, «Die Krone der Schöpfung». Er liest daraus den Essay «Identitätspolitik», in dem deren «hässliche, zerstörerische Seite» angesprochen wird: «Sie zeigt sich in unseren Tagen an vielen Orten, im erstarkten Nationalismus und im Rassismus der neuen Rechten. Ihr geht es nicht um Gleichheit, sondern um die Festschreibung der Unterschiede. Wenn eine marginalisierte Gruppe den Grund für die Zurücksetzung nicht als Fiktion begreift und diskutiert, verfällt sie über kurz oder lang in ein totalitäres Denken.» Wie aber kann Identität nicht als ausgrenzende Differenz, sondern als inkludierender Bestandteil von der Gleichheit der Menschen gedacht und vor allem gelebt werden?

Rundgang auf einem weiten Feld

Gesprächspartnerin von Bärfuss ist an diesem Vorabend die Leiterin der Förderbeiträge des Migros-Kulturprozents und Dozentin an der Hochschule der Künste in Bern, Yeboaa Ofosu, Tochter einer Schweizerin und eines Ghanaers.

Ofosu und Bärfuss kennen sich. Beide waren vor bald einem Vierteljahrhundert aktiv in der literarischen Subkultur Berns, Ofosu zum Beispiel als Co-Organisatorin der «Spysilesungen» in der Speiseanstalt der untern Stadt, Bärfuss als einer der namenlosen Vortragenden, die dort auftreten durften. 1999 erschien die Anthologie «einspeisen», Ofosu zeichnete als Mitherausgeberin, Bärfuss als Autor einer Kurzgeschichte.

 

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Jetzt wollen die beiden die Zeit seither entlang von Themen durchgehen, die Ofosu eingangs so umreisst: «Was darf man öffentlich noch sagen? Identitätspolitik dominiert zunehmend die intellektuellen Debatten, die öffentliche Arena erscheint im permanenten Kampfmodus. Wie können wir noch öffentliche Debatten führen, ohne selber zu diskriminieren?» Unter dem Genderaspekt sei es so, dass die Schweiz eine Höchstzahl von Angriffen auf Homosexuelle im öffentlichen Raum verzeichne, die Arbeitswelt mit der Gleichstellung der Frau nicht vorwärtsmache und MeToo Männer unter Generalverdacht stelle. Und unter dem Rassismusaspekt entferne man in der Innenstadt von Zürich Beschriftungen und Wandbilder von Mohren, weil sie die Träger eines kolonialen Erbes seien, statt diese zu kontextualisieren. Und für junge farbige Schweizerinnen sei die Frage nach ihrer Herkunft unterdessen unstatthaft, weil rassisch.

«Lukas, was ist hier los?», fragt Ofosu. Bärfuss antwortet, positiv interpretiert sei in der Gesellschaft «ein ungeheurer Lernprozess im Gang», und das sei auch dann «etwas Positives, etwas Konstruktives», wenn es mitunter Schmerzen verursache.

Im Gespräch danach entfalten sich nicht zuletzt die Identitäten der beiden Sprechenden: Ofosu erzählt, als «Farbige» in der Schweiz zur Zeit der Wahl von Obama zum US-Präsidenten immer mehr zur «Schwarzen» gemacht worden zu sein, und sie frage sich ab und zu, ob sie in ihrer Berufskarriere mitunter auch der «Vorzeigeneger» sei. Bärfuss als weisser Mann erzählt, unter seinen Vorfahren gäbe es sowohl Romas als auch mehrere ehemalige Verdingkinder, womit gesagt ist, dass der Rassismus nicht die einzige gesellschaftliche Ausschluss- und Diskriminierungsmaschine ist.

Mundart oder Hochdeutsch?

Nachdem Bärfuss seinen Essay «Identitätspolitik» vorgestellt hat, geht das Gespräch eine Zeitlang im berndeutschen Dialekt weiter. Auch die Sprache gehört ja zum Thema: Jede Sprache, die man zum Sprechen verwendet, schliesst Menschen ein und andere aus. Spannend wird es, als aus dem Publikum von einem Mitglied der ausländischen Wohnbevölkerung der Stadt die Frage gestellt wird, welche Funktion eigentlich der Dialekt identitätspolitisch habe.

Dialekt bedeute eine Möglichkeit zur Gruppenbildung und zur Abgrenzung, antwortet Ofosu. Aber in der Deutschschweiz sei es auch so, dass die Kompetenz, ein Gespräch auf hochdeutsch zu führen und sich dabei wohl zu fühlen, nicht so gross sei, wie man meinen könnte, weshalb sich viele oft in den Dialekt zurückzögen. Zudem sagt sie: «Ich liebe unsere Dialekte», und sie finde es weder gut, das Hochdeutsche «als besser» über den Dialekt zu stellen, noch zu sagen: «Bärndütsch isch das, wo me mues rede.» Es gehe hier um das Sowohl-als-auch.

Weniger diplomatisch antwortet Bärfuss: «Gerade in Bern gibt es einen unglaublich starken Sprachchauvinismus.» Er sei dem Bewusstsein geschuldet, dass es hier nur wegen einer geschichtlichen Ungerechtigkeit, die man vielleicht eines Tages noch korrigieren könne, den bernischen Hegemon der europäischen Grossmacht nicht mehr gebe: «Darum habe ich die Emanzipationsbewegung der bernischen Mundartliteratur immer mit grossem Widerwillen und mit Argwohn betrachtet.»

Gleiche Augenhöhe

Polemik ist aber gerade nicht das, was an diesem Gespräch beeindruckt. Imponierend war, dass ein weisser Mann und eine farbige Frau glaubwürdig gezeigt haben, wie ein differenziertes, erfahrungsgesättigtes und unterschiedliche Meinungen zulassendes Gespräch auf gleicher Augenhöhe geführt werden kann. Identität heisst auch, Gleichheit und Differenz im Gespräch versöhnen zu können.