3 mal 3 plus 2 gleich YB

von Christoph Reichenau 25. November 2020

Es heisst Schatzkästlein und ist eine Schatztruhe: Das mit Herzblut und Akribie zusammengestellte Büchlein, das an drei Meisterschafts-Hattricks und zwei Doubles seit 1909 erinnert und den Weg des BSC Young Boys zur Weltgeltung nachzeichnet. Ein Geschenk kritischer Fans an Gelb-Schwarz. Und das Wiederaufleben des Sinwel-Verlags.

Schatzkästlein – wer sich erinnert, ist heute in Pension. Das Schatzkästlein war der Wissens- und Unterhaltungsteil des Pestalozzi-Kalenders, der unter dem Titel «Schülerkalender» 1908 erstmals erschienen. Der Berner Bruno Kaiser hatte ihn erfunden, und weil die Schüler den Kalender nach dem Pestalozzi-Denkmal, das den ersten Titel schmückte, Pestalozzi-Kalender nannten, flugs umgetauft. Das Schatzkästlein war bis in die 1970er Jahre verbreitet als broschierte Beilage zum gebundenen Hauptbüchlein, reich bebildert, eine Fundgrube an Lesestoff vielfältiger Art.

Genau das ist auch das eben bei sinwel in Bern erschienene YB-Schatzkästlein, das den drei Meisterschafts-Hattricks und den beiden Doubles (Gewinn der Fussball-Meisterschaft und des Schweizer Cups im gleichen Jahr) gewidmet ist. Im Taschenbuchformat schliesst die Publikation formal und inhaltlich an das YB-Meisterbüchleins an. Unter dem Titel «Wo das Tram nicht hinfährt, sind wir daheim» kam es 2018 zur Feier des ersten Titels nach 32 mageren Jahren heraus. Nun hat der gelb-schwarze Fussballclub mit den zwei Büchern eine Würdigung erhalten, die in ihrer Vollständigkeit, Präzision und Nüchternheit überzeugt, weil sie kein Jubel-Produkt der Funktionäre ist, sondern eine aus der Tiefe jahrzehntelangen Mitfieberns, Mitleidens und Mitfreuens schöpfende Erinnerung in überzeugender Gestaltung, einfach schön.

Una malattia giovanile che dura tutta la vita

Den Ton schlägt Pier Paolo Pasolini an, der italienische Autor und Filmer: «Che domeniche allo stadio Comunale! Non ha importanza dove si è nati, quando come e dove si sono avuti in primi approcci con il calcio, per diventare un appassionato, un tifoso. Il tifo è una malattia giovanile che dura tutta la vita. Io abitavo Bologna. Soffrivo allora per questa squadra del cuore, soffro atrocemente anche adesso, sempre.»

Eine Kinderkrankheit, die ein Leben lang andauert. Wie Pasolini gesundeten auch die Autoren der Texte nicht. Bernhard Giger schreibt über das sogenannte Geisterspiel im diesjährigen Cup-Halbfinal gegen Sion und merkt an: «Es fehlen in diesen Partien, ganz simpel, die Zuschauerinnen und Zuschauer und die Wellen, die sie durchs Rund schicken.» Martin Stähli, seit 67 Jahren eingefleischter YB-Fan, erinnert an die Gründung des BSC 1898 und den ersten Meisterschafts-Hattrick 1909, 1910, 1911. Detailreich schildert er den zweiten Hattrick 1957, 1958, 1959, dazu das erste Double 1958, als auch der Schweizer Cup gewonnen wurde.

60’000 im Wankdorf

Und dann die Sternstunde im Europacup der Meisterclubs 1958/1959; YB stand nach Siegen gegen MTK Budapest und Wismut Chemnitz im Halbfinal-Hinspiel vor 60’000 Zuschauern im Wankdorf. Die Gelb-Schwarzen gewannen nach aberkanntem Tor und verweigertem Elfmeter 1:0. «Es war ein hinreissendes, prächtiges Spiel», fasst Stähli zusammen, «in dem YB einmal mehr über sich hinauswuchs». Das Rückspiel im «Parc des Princes» zu Paris verlor das ersatzgeschwächte YB diskussionslos 3:0, doch «YB wurde zu einer guten Adresse im europäischen Fussball», ja zu einem Club mit «Weltgeltung».

Dann änderte sich alles. YB war Mittelmass, stieg Ende des 20. Jahrhunderts ab, wieder auf, erneut ab und nochmals auf. Peter Lerch beschreibt die Stimmung im Stadion und seine Gefühle am 21. November 1999 bei minus 3 Grad, als YB gegen Carouge 0:2 verlor. 20 Jahre und viele enttäuschte Hoffnungen später gewann YB in einem dramatischen Spiel gegen Luzern die Meisterschaft – der erste Punkt zum neuerlichen Hattrick mit Siegen 2019 und 2020.

Vor den abschliessenden Tabellen zu Spielen in der Zeit von 110 Jahren macht Bänz Friedli Guillaume Hoarau eine Liebeserklärung, einer «raren Persönlichkeit mit Haltung, eigenem Denken und eigenem Stil», einer «Jahrhundertfigur».

Dramaturgische Komposition

Die schwarz-weissen und farbigen Fotografien sind keine Illustration der Texte. Sie sind lebendige Teile der Beschreibung, gleichberechtigte Elemente der Erzählung. Sie dramatisieren das Geschehen, verleihen ihm Rhythmus, Farbe, Tempo. Bernard Schlup hat schon das YB-Meisterbüchlein 2018 komponiert, die neue Publikation hält das hohe ästhetische Niveau. Und führt damit zurück zum Schatzkästlein des Pestalozzi-Kalenders und dessen Bebilderung: «Dem Auge glaubt das Gehirn», war Erfinder Bruno Kaiser überzeugt; dem geschrieben Wort «muss eines nachhelfen: die Bilder».

Mit 80 Seiten ist das Büchlein schmal. Dank der anregenden, teils berührenden Texte ist es ein Wurf. Die Bilder machen es zu einem dramatischen Werk im Taschenformat.

Nur der Titel benötigt eine Korrektur: Kein Schatzkästlein öffnet man, sondern eine Schatztruhe.