Migrationsgeschichten im Museum

von Carmen Steimann 5. April 2019

Ein neues Vermittlungsangebot bringt Menschen im Museum ins Gespräch: Fünf Guides mit Fluchthintergrund führen durch die Dauerausstellungen des Bernischen Historischen Museums. Sie präsentieren Exponate und verknüpfen sie mit ihrer persönlichen Geschichte, die in Syrien, Eritrea, Afghanistan und Iran beginnt.

«Migration hat es immer schon gegeben»: Dies ist der rote Faden einer Führung durchs Bernische Historische Museum, die bei einem urgeschichtlichen Modell von Mosseedorf startet und bei den Pfahlbauern in Mörigen am Bielersee endet. Letztere etwa mussten weiterziehen, da ihr Wohnort vom See überflutet wurde.

Das Besondere an diesem Rundgang: der Vermittler ist Flüchtling aus Eritrea und im Programm «Multaka» als Museumsguide ausgebildet worden. Zwei Frauen und drei Männer haben die sechsmonatige Ausbildung des Vereins «Multaka Bern» und des Museums erfolgreich absolviert, ab April 2019 sind ihre einstündigen Führungen jeweils sonntags im Angebot des Historischen Museums. Das interaktive Format wurde in Berlin entwickelt und wird nun erstmals auch in der Schweiz umgesetzt.

Das Museum möchte mit den neuen Rundgängen Menschen erreichen, die nicht zum klassischen Publikum zählen und Flüchtlingen die Partizipation ermöglichen, erklärt Direktor Jakob Messerli. «Für uns Fachpersonen ist zudem der Blick von aussen interessant, die Perspektive der so genannten Source Communities auf unsere Sammlungen.»

Während er in Eritrea das antike Königreich von Saba erforschte, gilt sein Interesse nun den Pfahlbauten vom Bielersee.

Thomas Tesfaghiorghis aus Eritrea ist im Multaka-Team eine Ausnahme, hat er doch in seiner Heimat Archäologie studiert und vor der Flucht acht Jahre lang im Nationalmuseum gearbeitet. Dass er sein Knowhow heute wieder in einem Museum anwendet, ist alles andere als selbstverständlich: «Für Menschen mit Fluchthintergrund ist es schwierig, in Europa Fuss zu fassen», sagt Tesfaghiorghis.

Dem eritreischen Flüchtling haben sich in Bern eine Reihe von Türen geöffnet. Als Masterstudent an der Universität Bern in Ur- und Frühgeschichte meistert er jetzt gleich mehrere Hürden: «Ein Studium als Familienvater mit drei Kindern ist nicht einfach und die Unterrichtssprache Deutsch fordert mich.» Fachlich ist der Archäologe in der neuen Heimat angekommen: Während er in Eritrea das antike Königreich von Saba erforschte, gilt sein Interesse nun den Pfahlbauten vom Bielersee.

«Eine gehörige Portion Mut»

Einen wissenschaftlichen Background braucht es nicht, um in das neue Programm aufgenommen zu werden. «Gute Deutschkenntnisse und eine gehörige Portion Mut» sind dagegen unerlässlich, betonen die Initiantinnen der Ausbildung. Die Beteiligten werden intensiv geschult und wählen die Exponate und Themen ihres Rundgangs individuell. Wieviel von ihrer persönlichen Geschichte einfliesst, entscheiden sie selber.

«Jede Führung ist somit jedes Mal anders», sagt Aline Minder, Verantwortliche Bildung und Vermittlung im Historischen Museum. Die Museumsfachfrau musste sich erst daran gewöhnen, «loszulassen» und den Dingen ihren Lauf zu lassen. «Aber wir vertrauen darauf, dass die Qualität des Multaka-Programms stimmt und wollen bewusst Raum für Gespräche bieten.»

Besonders interaktiv ist der Rundgang mit Museumsguide und Jugendarbeiter Farhad Haji. «Bei mir muss jeder mitmachen», erklärt er gleich zu Beginn und verwickelt die Museumsgäste in einen Dialog: Wer möchte einmal für einen Tag die Macht übernehmen? Was würdet ihr dann ändern? Was verbindet ihr mit dem Begriff Heimat?

Berner Brückenbauer

Farhad Haji sieht sich als Brückenbauer und hat in Bern ein Integrationsprojekt für Arabisch und Kurdisch sprechende Jugendliche initiiert. In seinem Rundgang schafft er immer wieder Querbezüge, vom Berner Schultheissenthron zu Insignien der Macht in Syrien, vom Modell der Stadt Bern zu seiner Migrationsgeschichte. «Syrien ist mein Herkunftsland, meine Heimat aber ist jetzt Bern.» Zu diesem Statement gibt es im Publikum viele Fragen und eigene Erfahrungen – und es entfaltet sich wie vorgesehen eine angeregte Diskussion.

«Syrien ist mein Herkunftsland, meine Heimat aber ist jetzt Bern.»

«Migration hat viele Seiten, positive und negative», beschliesst Thomas Tesfaghiorghis seinen Rundgang durch die archäologische Sammlung. Wer migriert, müsse einen Teil seiner Identität zurücklassen, gewinne aber auch dazu, sagt der Museumsguide: «Eine neue Sprache, Freiheit und neue Möglichkeiten, das Leben zu gestalten.»