One-way in den Krieg

von Yannic Schmezer 27. Februar 2019

Ein junger Radioreporter geht während der Jugoslawienkriege nach Kroatien und lässt dort sein Leben. Viele Jahre später begibt sich seine Cousine auf Spurensuche.

Während des Kroatienkriegs konnte man mit dem Zug von der Schweiz bis nach Zagreb fahren. Ohne Umsteigen, hinein, mitten ins Kriegsgebiet. «Den Bürgerkrieg spürt man schon mehrere Kilometer vor der Grenze», erzählt Christian Würtenberg, genannt Chris im Zug sitzend. «Mit jeder zusätzlichen Haltestelle leeren sich die Waggons». Doch Chris bleibt sitzen, er hat eine Entscheidung getroffen. Der damals 26-Jährige Journalist des Radio 24 will als Kriegsreporter an die Front. Von ihm handelt der Film «Chris the Swiss». Und von seinem Tod.

Das Interessante: Die Regisseurin, Anja Kofmel, ist zugleich die Cousine von Chris. Als sie von seinem Tod erfährt, ist sie noch ein Kind. «Alle sprachen von deinem Tod und ich war stolz, deine kleine Cousine zu sein», erinnert sich die kleine Anja im Film. Viele Jahre später reist sie nach Kroatien, betreibt aufwändige Recherche, um all die Menschen ausfindig zu machen, die Chris bis zu seinem Tod im Jahr 1992 begleiteten. Ihre kindlichen Erinnerungen, in denen Kofmel den um viele Jahre älteren Cousin heroisiert, werden dabei schrittweise entzaubert. So stellt sich beispielsweise heraus, dass Chris die persönliche Distanz zum Krieg verlor und sich dem Söldnertrupp «PIV» anschloss.

Wo die Realität keine Antworten bereithält, wechselt der Film zur Fiktion. Schwarz-weiss Zeichnungen füllen jene Lücken, die die Befragten nicht zu schliessen wussten. Dadurch entsteht eine einnehmende Mischung aus Dokumentarfilm und künstlerischer Verarbeitung der Recherche. Ein wiederkehrendes Motiv sind beispielsweise düstere, insektenschwarmartige aber menschenförmige Wesen, die die kindliche Anja bereits in der ersten Szene sichtet. Dort umstreifen sie den schutzlosen Chris auf einem grossen Feld. Später ziehen sie wie Gemarterte im Gegenwind in den Krieg, stets bedrohlich, stets gefährlich.

Die tiefgründige Recherche von Chris’ Leben in der Kombination mit den unaufgeregten Zeichnungen wenden die klischierte Darstellung des Krieges ab. Unaufgeregtheit bedeutet in diesem Fall aber keineswegs Harmlosigkeit, denn wie Kofmel zu erzählen weiss, sind Kriegsstädte still. Mucksmäuschenstill. Genau in dieser Stille liegt auch immer wieder die Bedrohlichkeit, die «Chris the Swiss» auf die Leinwand zu bannen vermag.

Kofmels subjektive Erzählung legt den Fokus auf ein einzelnes Schicksal, jenes ihres Cousins Chris. Dadurch öffnet sich den Zuschauenden eine Tür, die Geschichte wird betretbar und echt. Es geht nicht darum eine universelle Erklärung dafür zu finden, weshalb jemand in einen fremden Krieg zieht, um dort sein Leben zu lassen. Am Ende hat man denn auch keine definitive Antwort auf diese Frage. Aber man ist überzeugt, die Geschichte eines jungen Mannes zu kennen, der eine hatte.