Halbvolles Glas

von Christoph Reichenau 18. Mai 2018

Für die Erweiterung des Kunstmuseums Bern scheinen die Weichen gestellt zu sein: Abbruch des Atelier 5-Trakts und Neubau, Einbezug weiterer Flächen im Polizeigebäude daneben, Aufwertung der Hodlerstrasse. Doch noch ist nicht alles klar.

Im Juni 2017 stellte die Dachstiftung Kunstmuseum Bern-Zentrum Paul Klee das Projekt «Modernisierung Kunstmuseum» vor: Die Sanierung des Atelier 5-Trakts an der Hodlerstrasse plus rund 1‘000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und Depotraum. Kostenpunkt 40 Millionen Franken, davon 32 zu Lasten des Kantons. Die Direktion zeigte sich erfreut darüber, so «das Kunstmuseum und die Kunststadt Bern noch besser zu positionieren.» Jürg Bucher, Präsident der Dachstiftung, erklärte entschuldigend, im Grunde hätte er an Stelle der Sanierung lieber einen attraktiven Neubau.

Ein Neuanfang

Elf Monate später ist zum Glück alles Makulatur. 32 Berner Architekturbüros führten Beschwerde gegen die freihändige Vergabe des Architekturauftrags, worauf das KMB zurückkrebste und nur noch den Ersatz der Klimaanlage vorsah. Die Sektion Bern des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA reichte zudem eine Aufsichtsbeschwerde bei der kantonalen Erziehungsdirektion ein. Im Herbst 2017 meldete sich Hansjörg Wyss mit einem Schenkungsangebot von 20 Millionen, gebunden an das Siegerprojekt «an_gebaut» im Wettbewerb 2006.

Was in einem Chaos hätte enden können, scheint vor einem positiven Neuanfang zu stehen. Die Fachverbände SIA und BSA loben das gewählte Vorgehen, begrüssen den Prozess und empfehlen, den entstandenen Schwung auszunutzen. BSA-Präsident Patrick Thurston spricht von einem «kleinen Wunder von Bern.» Regierungspräsident Bernhard Pulver ist «wirklich zufrieden» und empfindet «Freude, dass es so weit gekommen ist.» Jürg Bucher bekommt seinen Neubau. Hansjörg Wyss lässt verlauten, er stehe «der sich abzeichnenden Entwicklung positiv gegenüber.»

Drei Gebäude an offenerer Hodlerstrasse

Worum geht es? Gerade eine Seite lang ist die Medienmitteilung, die die Jubelnachricht verkündet, eher verklausuliert als klärend. Das Schenkungsangebot von Hansjörg Wyss hat den Erziehungsdirektor und den Stadtpräsidenten aus dem Busch geklopft. Sie gingen auf Wyss zu und nahmen das fachliche Unterstützungsangebot von BSA und SIA an. Eine Gruppe wurde gebildet, in der das KMB, die Erziehungsdirektion, die Stadtverwaltung sowie vier begleitende Architekten zusammenarbeiteten. Ein Solothurner Büro erarbeitete eine Machbarkeitsstudie. Zweimal in diesem Vorgehen, «das ein Ausloten von Synergien im Raum Hodlerstrasse/Waisenhaus anstrebt» (so SIA und BSA) wirkten Alec von Graffenried, Bernhard Pulver und Hansjörg Wyss mit, zuletzt am vergangenen Dienstag. Die Kosten trug die Erziehungsdirektion.

Das Ergebnis: Der als erhaltenswert eingestufte Atelier 5-Trakt, der 1983 in Betrieb genommen worden ist, soll nicht saniert, sondern abgebrochen werden. An seiner Stelle ist ein Neubau geplant, der ausschliesslich Ausstellungsraum bietet. Die übrigen Funktionen des KMB (Büros, Ateliers, eventuell Museumscafé) nimmt das anschliessende Polizeigebäude an der Hodlerstrasse 6 auf, das ebenfalls erhaltenswert ist und als schützenswert eingestuft werden soll. Es wird frei, wenn etwa 2022/2023 die Polizei nach Niederwangen umzieht. Entlang der Hodlerstrasse entsteht somit ein KMB in drei Gebäuden – Stettlerbau, Neubau, Polizeigebäude.

Der Neubau kann an den Stettlerbau angedockt oder als Solitär errichtet werden. Sein Eingang wird vis-à-vis des PROGRs liegen und damit die Häuser über die heutige Strassenschlucht hinweg in Beziehung bringen. Der durch eine Mauer abgetrennte Platz zwischen dem Polizeigebäude im Eigentum der Stadt und der Polizeikaserne im Alten Waisenhaus könnte geöffnet werden.

Die Kosten

Zahlen werden nicht ausgewiesen und will niemand nennen. Eine Überschlagsrechnung: Die reine Sanierung des A5-Trakts würde 30-40 Millionen kosten, ein Neubau mit mehr Raum wird wohl teurer.  Hinzu kommt die Herrichtung des Polizeigebäudes. Mit insgesamt 70-80 Millionen dürfte man nicht ganz falsch liegen. Wenn Hansjörg Wyss bei seinem Angebot bleibt, sinkt der Preis für den Kanton. Weitere Zuschüsse Privater und ein Beitrag der Burgergemeinde helfen nochmals. Am Kanton bleiben letztlich wohl 40-50 Millionen hängen.

Ein ganz anderer Kostenpunkt ist der Abbruch des A5-Trakts. Als er vor 35 Jahren eröffnet wurde, galt er als Ikone der Museumsarchitektur. Die Lichtführung, die von Rémy Zaugg damals ausgetüftelte Farbgebung, die verstellbaren Wände, das alles wurde hoch gelobt. Die Anbindung an den Stettlerbau war von Anfang an nicht ideal – aber rechtfertigt dies den Abbruch? Über die museumspraktische und die denkmalpflegerische Einschätzung muss öffentlich diskutiert werden.

Wie weiter?

Ungesäumt soll der «nun entstandene Schwung ausgenutzt» (SIA und BSA) und ein Architekturwettbewerb vorbereitet werden. Dessen Finanzierung (man rechnet mit weniger als 1 Million) obliegt dem Kanton. Die Federführung hat die Dachstiftung inne, sie ist Grundeigentümerin und wird Bauherrin sein.

Am Wettbewerb, dessen Struktur noch nicht definiert ist, sollen auch Berner Büros teilnehmen können. Denkbar ist folglich eine für alle offene Präqualifikation, nach der eine bestimmte Anzahl Teilnehmer zugelassen wird.

Wenn es gut läuft, kann der Wettbewerb Ende 2018 gestartet und Ende 2019 juriert werden. Dann folgen die weiteren Arbeiten bis zur Projektierung und zur Bewilligung des Baukredits durch den Grossen Rat. Vor 2021/2022 dürfte kaum abgebrochen und neu gebaut werden.

Offene Fragen

Nicht beantwortet werden können heute folgende Fragen:

–        Macht Hansjörg Wyss sein Schenkungsversprechen wahr, wann und in welcher Höhe? Wird er der Bannerträger privaten Engagements und überzeugt weitere Geldgeber?

–        Wie wird der A5-Trakt bis zum Abbruch genutzt? Darf er trotz fehlender Erdbebensicherheit offen bleiben? Wie steht es mit der Klimaanlage, deren Mängel vor einem Jahr als Riesengefahr dargestellt worden sind? Der Stiftungsrat wird dazu – erklärt Präsident Jürg Bucher – demnächst Beschluss fassen.

–        Was hat Bernhard Pulvers Ausscheiden aus dem Amt auf der Seite des Kantons zur Folge? Ist der Prozess genügend tief verankert, dass es auch ohne ihn mit Volldampf weitergeht? 

–        Wie reagiert die Öffentlichkeit auf den Abbruchplan des A5-Trakts?

Erstes Fazit

Das Glas ist halb voll. In kurzer Zeit wurde viel geklärt, Energie aufgebaut, ein gutes Arbeitsklima geschaffen. Stolpersteine  gibt es noch viele. Nur ein Beispiel: Die Kommunikation per Medienmitteilung ist – allem Verständnis zum Trotz – einer so wichtigen Sache nicht angemessen. Nach Jahren der Irrungen und Wirrungen und einem Hüst und Hott gerade in den jüngsten elf Monaten gilt es, das Vertrauen der Politik und der Bevölkerung – die schliesslich zahlen muss – zu gewinnen.