Political Correctness: Anatomie eines Begriffs

von Fredi Lerch 21. März 2017

Im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus steht heute Abend mit der «Political Correctness» ein schillernder Modebegriff zur Diskussion. Der Germanist und alt Stadtrat Rolf Zbinden führt ein. Dann wird diskutiert.

Es gibt Modebegriffe, bei denen man nicht darum herum kommt zu wissen, wie man zu ihnen steht. «Political Correctness» zum Beispiel. Da hat man dafür zu sein. In Bern sowieso. Und damit man weiss, wie man reden muss, dass politisch korrekt geredet ist, orientiert man sich an der Art, wie man dort redet, wo man dazu gehören will. So einfach ist das.

Der Germanist und alt Stadtrat der PdA, Rolf Zbinden, führt heute Abend im Breitsch-Träff in die Debatte um den Begriff ein. Für ihn ist «Political Correctness» mehr und anderes als die Sprachregelungen im Wohlfühlbereich einzelner Szenen. Er sagt, das Zeitalter der postmodernen Beliebigkeit habe die Kämpfe um die Hegemonie der Diskurse zwar vielfältig und unübersichtlich gemacht. Aber es gebe sehr wohl ein «Hauptterrain der Political Correctness»: «Dieses Terrain ist der Streit um die Ausweitung der Rechte der so genannten Minderheiten. Weil aber dieser Streit um identitätspolitische Differenzen tendenziell spaltet, braucht es auch den anderen Streit – jenen um die ausser Mode geratende grosse Erzählung von der Gleichheit der Menschen. Hier geht es um die Erkämpfung und um die Verteidigung erkämpfter Standards der Gleichberechtigung für alle und um die soziale Gerechtigkeit.»

Aufklärung statt Rechthaberei

Die Debatte um die «Political Correctness» ist vielschichtig. Es geht nicht nur um das Sprachspiel zur Stärkung der eigenen Gruppenzugehörigkeit. Es geht um das sprachpolitische Rollback in der Öffentlichkeit gegen die Besserstellung von Diskriminierten. Es geht um die Enttabuisierungsrhetorik der politischen Rechten, zum Beispiel um das Kokettieren mit nationalsozialistisch besetzten Wörtern («Entvolkung») oder um den SVP-«Marsch auf Bern» (2007) in Anlehnung an Mussolinis «Marsch auf Rom» (1922). Es geht um Diskurse, um den Kampf um Diskurshegemonie, Definitionsmacht und Deutungshoheit. Es geht darum, ob  es eine linke und eine rechte Political Correctness gibt oder nur eine einzige – und falls es nur eine gibt: ob die aus mehr als anständiger Gesprächsführung und gepflegter Wortwahl besteht.

Und immer auch geht es um das kleine, hässliche Ressentiment im eigenen Bauch: Woran passe ich mich eigentlich an, wenn ich versuche, politisch korrekt zu reden? Muss ich mich überhaupt anpassen? Falls ja: Wer bestimmt das? Und wenn ich mich nicht anpasse und man mich deswegen kritisiert oder gar zum Schweigen auffordert: Geht es dann nicht um die Einschränkung meiner Rede- und Meinungsäusserungsfreiheit, geht es nicht um Zensur? Aber auch umgekehrt: Darf ich eine solche Frage überhaupt (noch) stellen? Oder gehöre ich damit schon halbwegs zu jenen, die öffentlich rassistisch daherreden, um lauthals «Zensur!» schreien zu können, wenn man sie als rassistische Schwätzer kritisiert?

Rolf Zbinden hält nichts davon, Political Correctness als sprachpolizeiliche Rechthaberei zu verstehen. Es gehe vielmehr darum, den Streit um politische Korrektheit in der Sprache als eine Aufgabe der Aufklärung zu verstehen: «Es geht vorab darum, die Leute in ihren konkreten Lebensumständen zu verstehen, auch wenn sie einem auf den ersten Blick nicht sympathisch sind.»

Es genüge nicht, darüber zu jammern, dass Bümpliz nicht mehr rot sei. Er habe als Lehrer mit Jugendlichen aus Berns Westen gearbeitet. Es sei manchmal beelendend gewesen, jungen Leute zu begegnen, die in ihren Lebensmöglichkeiten bereits mehrfach – bildungsmässig, sozial, gesundheitlich – eingeschränkt gewesen seien: «Diese Einschränkungen spiegelten sich auch in ihrer Sprache wider. Aber es geht einfach nicht, hier einen Trennungsstrich zu ziehen und zu sagen: Wir sind die politisch Korrekten und das sind die anderen. Im Gegenteil, hier müssen wir sagen: Es ist unsere Aufgabe, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.»

Rassismus und Political Correctness

Was das alles mit Rassismus zu tun habe?

«Gerade in Bezug auf den Rassismus», sagt Zbinden, lohne es sich, die Sprache als geschichtliches Phänomen zu betrachten. Um Geschichtsvergessenheiten zu vermeiden, sei es hilfreich, wenn man sich die Karriere gewisser Begriffe vor Augen führe. Wenn man sich zum Beispiel frage, warum aus einer «Unordnung» später ein «Puff» wurde und heute ein «Ghetto» geworden ist. «Das Bewusstsein von den Bedeutungsveränderungen der Wörter bewahrt davor zu akzeptieren, dass alle einen Rassismus-Begriff für ihren Hausgebrauch pflegen. Die Wörter haben eine gesellschaftsbildende Kraft, weil sie nicht nur ‘Welt’ abbilden, sondern auch ‘Welt’ konstituieren. Darum schafft Sprache im Lauf der Geschichte immer wieder neue Möglichkeiten, aber halt auch neue Sackgassen. Diese Sackgassen – nicht nur in Bezug auf den Begriff Rassismus – zu erkennen und zu umgehen, hat viel mit Political Correctness zu tun.»