Angespannte Stimmung bei Gewerbe und Gastro in der unteren Altstadt

von Barbara Büttner 20. April 2021

Seit vergangenem Oktober waren wegen Corona Bars, Theater und Kulturkeller geschlossen, seit dem 22. Dezember 2020 die Restaurants und seit dem 18. Januar 2020 auch die Läden, die keine Güter des alltäglichen Bedarfs verkaufen. Zwar durften letztere am 1. März unter strengen Auflagen wieder öffnen. Doch die Gastro- wie die Kulturbetriebe (mit Ausnahme der Museen) blieben noch lange zu und konnten erst gestern, 19. April wieder eingeschränkt öffnen. Vor diesem Hintergrund haben die fünf Leiste der Unteren Altstadt im Februar unter ihren Mitgliedern eine zweite Covid-19-Umfrage durchgeführt. Mit eindrücklichen Ergebnissen, wie die Auswertung zeigt.

Umfrage in der unteren Altstadt

Die Corona-Pandemie hinterlässt auch in der Altstadt ihre Spuren. Das war den Leistvorständen seit geraumer Zeit klar. Um sich ein genaueres Bild zu machen, haben die Leiste kurzerhand zum zweiten Mal eine Umfrage lanciert und nachgefragt bei ihren Mitgliedern in den Detailhandels- und Dienstleistungsbranchen, den Gastrobetrieben, Hotels und Kulturstätten. Insgesamt haben sich 140 Mitglieder an der Umfrage beteiligt. Beim Kramgassleist, Rathausgass-Brunngass-Leist und der Kesslergass-Gesellschaft haben sich deutlich mehr als die Hälfte der angeschriebenen Mitglieder an der sehr ausführlichen Umfrage beteiligt. Die Angaben sind deshalb durchaus aussagekräftig und werfen ein sehr genaues Licht auf die schwierige Situation in der Unteren Altstadt nach dem langen ersten Corona-Jahr.

Detailhandel und Dienstleister mit deutlichen Umsatzeinbussen

Für das gesamte erste Corona-Jahr gaben die UmfrageteilnehmerInnen aber eine Umsatzschätzung ab. Danach kommt nur eine kleine Minderheit von gut 11% der Geschäfte ohne Umsatzeinbussen davon. Der grösste Teil – über 67% – erwartet Einbussen bis 20% respektive bis 40%. Jeweils 10 % der Geschäfte rechnen mit Umsatzrückgängen von bis zu 60% beziehungsweise bis zu 80% und zwei Prozent mit einem Totalausfall. Bei den Dienstleistungsbetrieben gehen rund 64% von Einbussen bis zu 20% respektive 40% aus. Einen Umsatzrückgang bis zu 60% erwarten 18%. Über 15% der Dienstleistungsbetriebe rechnen damit, dass sie keine Verluste schreiben. In Franken ausgedrückt betragen die Verluste bei 63% der antwortenden Geschäfte bis 50 000 respektive bis 100 000 Franken, bei mehr als 31% liegen sie höher als 100 000. Bei den Dienstleistungsbetrieben betragen die Verluste mehrheitlich bis zu 50 000 Franken.

Weniger Kundschaft in den geöffneten Läden

Schon der Blick aus dem Wohnungsfenster zeigte, dass die Gassen und Lauben in der Unteren Altstadt im zweiten Teil-Lockdown noch leerer waren als vorher. So klagt auch ein Grossteil der wenigen Geschäfte, die geöffnet bleiben durften, über einen weiteren Rückgang der Kundenzahlen. In der Umfrage antworteten knapp 47%, dass sie deutlich weniger KundInnen hätten und über 23% «eher weniger». Nur 10% freuten sich über mehr KundInnen. Für fast die Hälfte der Antwortenden rechnete sich aber das Offenhalten ihres Betriebes durchaus oder sogar sehr, für eine knappe Mehrheit dagegen eher nicht oder gar nicht. Auch bei den Dienstleistern gaben 71% der Betriebe an, dass das Kundenaufkommen eher weniger beziehungsweise deutlich weniger geworden sei.

Schwer getroffene Gastrobranche

Bereits seit Ende vergangenen Oktober wurden die Corona-Beschränkungen in der Gastrobranche sukzessive verschärft. Seit dem 22. Dezember letzten Jahres sind die Restaurants wieder geschlossen, die Bars sogar bereits seit dem vergangenen 24. Oktober. Ihren Umsatzverlust im gesamten ersten Corona-Jahr schätzt die Hälfte der Antwortenden auf bis zu 40%. Einen Umsatzeinbruch von bis zu 60% erwarten 39% der Betriebe und je 6% rechnen mit Umsatzausfällen in Höhe von 80% respektive 100%. In Franken ausgedrückt beträgt der Umsatzausfall bei 65% der Gastrobetriebe über 100 000 Franken. Gebeutelt sind auch die Stadthotels. Die Gäste blieben weitgehend aus, etliche Hotels schlossen deshalb zeitweise ihren Betrieb freiwillig. Ein Hotel, das offenblieb, vermeldet in der Umfrage einen Umsatzeinbruch von 80%.
Zum Zeitpunkt der Umfrage waren alle Kulturbetriebe in der Unteren Altstadt noch geschlossen – und das seit Ende Oktober. Die Hälfte der Antwortenden schätzt ihre Umsatzeinbussen im ersten Corona-Jahr auf bis zu 40%, je ein Viertel auf bis zu 60% beziehungsweise bis zu 100%.

Internet-Aktivitäten

Während der erneuten Schliessung versuchen mehr Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe, Restaurants und Kulturanbieter als im ersten Teil-Lockdown die Bindung an ihre Kundschaft mit verschiedensten Angeboten aufrechtzuerhalten. 67% Prozent der antwortenden Gastrobetriebe bieten per Internet einen Take-away-Abholservice an, 22% auch eine Hauslieferung. Ob sich der Service lohnt, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Ein Teilnehmender bemerkte: «Viel Aufwand, geringer Ertrag», ein anderer schrieb, dass sich das Take-away-Angebot bei der ersten Schliessung mehr gelohnt habe.
Im Detailhandel waren 95% der Geschäfte während der zweiten Schliessung telefonisch erreichbar, vor allem für Beratung und Bestellungen. Immerhin 44% haben aufgrund der Erfahrungen des ersten Teil-Lockdowns ihre Geschäftsaktivitäten vermehrt ins Internet verlegt. Knapp die Hälfte der Antwortenden nutzte die Zeit der Schliessung, um ihren bestehenden Webshop aus- oder sich einen eigenen Webshop aufzubauen. Es gibt jedoch unterschiedliche Ansichten darüber, ob sich ein solcher Aufwand lohnt. Aber zumindest unter denjenigen, die sich zur entsprechenden Frage geäussert haben, ist die Zahl der Befürworter höher als die der Skeptiker. «Eine sichtbare und agile Online-Existenz ist unumgänglich. Die Berner Altstadt soll ja auch für ein junges Publikum verlockend sein», schrieb ein Teilnehmer.

Auch für die Kulturbetriebe ist das Internet in der Zeit der Pandemie ein besonders wichtiges Kommunikationsmedium. In der Unteren Altstadt nutzen die meisten der Antwortenden das Internet auch für kulturelle Aktivitäten, zum Streamen von Theaterstücken etwa oder für Online-Tanzkurse.

Überlebenswichtige Staatshilfen

Die Umfrage zeigt, dass die ganz grosse Mehrheit aller Antwortenden staatliche Hilfen in Anspruch genommen hat. Die wichtigsten Massnahmen sind die Verlängerung der Kurzarbeit und die Verlängerung des Corona-Erwerbsersatzes für Selbständige und Mitarbeitende in arbeitgeberähnlicher Funktion. In der Gastronomie schickten über 45% der Antwortenden ihre Angestellten in Kurzarbeit, im Detailhandel waren es 43%, bei den Dienstleitungsbetrieben über 34% und im Kulturbereich 25%. «Insbesondere die Kurzarbeitsentschädigung unterstützt uns darin, die anfallenden Kosten zu decken», bemerkte ein Umfrageteilnehmer.

Corona-Erwerbsersatz beantragten in der Gastronomie 39% der Antwortenden, im Detailhandel über 22%, bei den Dienstleistern waren es 16% und bei den Kulturbetrieben die Hälfte der Antwortenden. Ein Viertel von ihnen nahm auch die Ausfallentschädigung des Bundes in Anspruch.
Im Gastro- und Kulturbereich nahmen somit alle der antwortenden Betriebe Staatshilfe an. Im Detailhandel gab dagegen fast ein Drittel an, bisher keine staatliche Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Bei den Dienstleistern, zu denen ja nicht nur Coiffeure, sondern zum Beispiel auch medizinische Berufe gehören, kamen dagegen 47% ohne staatliche Unterstützung aus.

Auf die zusätzliche Frage, ob die Gastrobetriebe nach den Umsatzeinbussen der letzten Monate auch noch den Verdienstausfall infolge der behördlichen Schliessung verkraften könnten, antworten 60% der Betriebe: Ja, ich schaffe das, aber nur mit staatlicher Unterstützung. Skeptisch, ob sie überleben, sind 30% Prozent der Betriebe. Aber auch sie wollen nicht aufgegeben und alles versuchen, dass ihr Betrieb die Krise übersteht. Die antwortenden Kulturbetriebe gehen ausnahmslos davon aus, dass sie mit staatlicher Hilfe sowie der Unterstützung ihrer Gönner und Sponsorinnen überleben werden.

Die staatlichen Hilfen haben auch dazu geführt, dass in der Unteren Altstadt zumindest bis Mitte Februar eine grosse Entlassungswelle ausgeblieben ist. Die grosse Mehrheit der Betriebe aller Branchen sprach laut Umfrage keine Kündigungen aus. In der Gastrobranche aber verloren dennoch etwa ein Dutzend Angestellte ihre Arbeit, im Detailhandel waren es sieben.

Die Krux mit den Härtefallhilfen

Seit dem 22. Januar können Betriebe beim Kanton die vereinfachten Corona-Härtefallhilfen beantragen. 40% aller antwortenden Betriebe wollen das laut Umfrage auch tun oder haben bereits einen Antrag gestellt. Befragt nach ihren Erfahrungen antworteten nur knapp 4%, dass ihr Härtefallgesuch unbürokratisch und speditiv bearbeitet wurde. Mehr als 64% fanden die Gesuchstellung eher kompliziert («braucht stundenlange Büroarbeit»), und 31% empfanden die Hürden für eine Gesuchbewilligung als (zu) hoch. In der Matte waren alle Antwortenden dieser Auffassung.

Das Dauerproblem mit den Mieten

Knapp 44% der Betriebe und Geschäfte in der Unteren Altstadt haben sich laut der Umfrage im ersten Coronajahr mit ihrer Vermieterschaft auf eine Mietzinsreduktion einigen können. Bei vielen betraf diese Reduktion aber den ersten Teil-Lockdown. Ob eine erneute Reduktion der Mieten auch für die verdienstlose Zeit der zweiten Schliessung möglich sein wird, ist für viele noch offen. Auch deshalb setzen viele Betriebe grosse Hoffnung auf die seit Anfang Februar geltende Corona-Mietzinsunterstützung der Stadt. Danach beteiligt sich die Stadt zur Hälfte an der Mietzinsreduktion, auf die sich Vermieter mit ihrer Mieterschaft im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 31. März 2021 einigen. Die Obergrenze der städtischen Unterstützung liegt bei 3500 Franken.

11% der MieterInnen sind laut Umfrage denn auch sicher, dass diese städtische Beteiligungsoption ihre Vermieterschaft zu einer Mietzinsreduktion bewegen wird. 58% hoffen es zumindest, 19% glauben das nicht. Zum einen, weil ihre Liegenschaftsverwaltung keinerlei Neigung zeige, auch nur einen Rappen nachzugeben, wie es in einer Bemerkung in der Umfrage hiess. Oder weil «die Verwaltung im Sommer ganz klar der Meinung war, dass ein Gewerbetreibender wohl drei Monate finanziell gut überbrücken kann». Oder, weil jemand in einem Haus eingemietet ist, das dem Kanton gehört, und deshalb anscheinend nicht unterstützungsberechtigt sei. Ein anderer gab zu bedenken, dass «selbst ein Mieterlass von 50% bei null Franken Umsatz noch immer einer der grössten fixen Ausgabeposten» sei.

Etwas Optimismus zum Schluss

Die Umfrage zeigt: Im Februar war die Stimmungslage beim Gewerbe und in der Gastronomie mehrheitlich sehr angespannt und besorgt. Wer allerdings angesichts der vielen, teilweise existenzbedrohlichen Probleme glauben sollte, das Corona-Virus habe die Untere Altstadt in die Knie gezwungen, irrt. Die Umfrage zeigt nämlich auch, dass eine klare Mehrheit an die Zukunft ihrer Geschäfte und Betriebe glaubt. 8% der Antwortenden sind sogar sehr optimistisch, 56% eher optimistisch. Mehr als ein Drittel ist eher skeptisch oder sehr skeptisch.
Niemand weiss derzeit, was die Zukunft tatsächlich bringen wird, wann die zerstörerische Macht des Virus gebrochen sein wird, wann wieder Normalität einkehren wird. Ein Teilnehmer brachte dieses Dilemma in seiner Bemerkung auf den Punkt: «Sämtliche Fragen, welche die Zukunft betreffen, können mangels klarer Perspektiven eigentlich nicht beantwortet werden.» Aber an die Zukunft glauben und sich dafür rüsten – das können und sollten wir!

Aus: BrunneZytig 1/2021