10 Fragen an Daniel Hubacher, Pfarrer an der Nydeggkirche

von Rita Jost 10. Mai 2020

Die Kirchen bleiben noch bis zum 8. Juni geschlossen. Pfarrerinnen und Pfarrer sind aber nicht arbeitslos. Pfarramt im Homeoffice, wie geht das? Daniel Hubacher und seine KollegInnen von der Nydeggkirche verschicken «Sonntagsproviant» per Post.

Daniel Hubacher, wo erreichen wir Sie gerade?

Zuhause. Ich habe heute vorwiegend daheim gearbeitet: die KonfirmandInnen kontaktiert, mit der Vikarin via Videokonferenz die Woche besprochen, am Telefon ein Seelsorgegespräch geführt, Post gesichtet… allerlei solche Sachen halt.

Sie und ihre KollegInnen haben in den letzten Wochen die treuen PredigtbesucherInnen auf dem Postweg mit geistiger Nahrung versorgt. Wie kam es dazu?

Wir haben uns ganz zu Beginn des Lockdowns überlegt, wie wir all jene erreichen könnten, die jetzt den Sonntags-Gottesdient vermissen und haben schnell mal festgestellt, dass viele dieser Menschen wohl nicht am Computer oder am Smartphone eine Predigt suchen gehen. Deshalb haben wir Briefe mit «Sonntags-Proviant» verschickt. Diese gehen nun jeweils am Donnerstag raus, so dass unsere «Stammkundschaft» am Wochenende Post von uns bekommt.

Wie ist das angekommen?

Wir schrieben ja anfänglich einfach einige Gemeindemitglieder an, von denen wir annahmen, dass sie sich freuen würden. Die Liste wurde aber von Woche zu Woche länger. Unterdessen verschicken wir 270 Briefe und erhalten jeweils viele dankbare und differenzierte Rückmeldungen – per Post, Telefon und Mail. Was schön ist: aus diesen Rückmeldungen ergeben sich manchmal Seelsorgegespräche. Der Sonntags-Proviant funktioniert als Türöffner. Es ist offenbar leichter, ein Gespräch mit einem Dank als mit einer Klage zu beginnen.

Wo wären Sie wohl im Moment gerade in normalen Zeiten?

Wir wären in dieser Woche im Konfirmandenlager. Im Mai und Juni ist ja normalerweise Konfirmationszeit. Diese haben wir nun verschoben in den August. Die Jahresplanung für das kommenden Schuljahr, die normalerweise auch in dieser Jahreszeit passiert, haben wir notgedrungen schriftlich oder telefonisch gemacht.

Was macht Ihnen am meisten Sorgen?

Ich sorge mich um die Menschen, die nicht wissen, was sie dürfen und sollen. Und die langsam verzweifeln, weil sie nicht wissen, wie lange das noch dauern wird. Ich habe zum Beispiel von einer jungen Seniorin gehört, die angepöbelt wurde, weil sie spazieren ging. Ich frage mich auch, wie wir in Zukunft unsere Anlässe, vom Jugendtreff über den Gottesdienst bis zur Erwachsenenbildung, durchführen sollen. Kirche ist Gemeinschaft. Da kommen sich Menschen auch physisch nahe. Wie soll das in Zukunft gehen?

Was vermissen Sie am meisten?

Kleine Sachen: Das Beieinander-Sitzen-Dürfen, die Gesten der Nähe, zum Beispiel den Segen am Krankenbett. Und den direkten Austausch mit den Leuten in den Quartieren, in den Unterrichtsstunden und in den Gottesdiensten. Einfach: das Leben. Auch das in den Gassen und auf dem Nydegghof. Und natürlich: Dass man unkompliziert Freunde treffen kann.

Gab es eigentlich viele Beerdigungen?

Nein, bei mir keine einzige in den letzten Wochen. Die Leute wurden offenbar schlecht darüber informiert, dass wir Abdankungen im Familienkreis durchführen dürfen. Das ist eine Erfahrung, die uns sehr erstaunt und die übrigens in vielen Kirchgemeinden gemacht wurde.

Gibt es Erkenntnisse, die Sie hinüberretten möchten in die Nach-Coronazeit?

Manche Gespräche, die ich führen durfte, waren verbindlicher und tiefe als sonst. Es wäre schön, wenn sie diese Qualität behalten könnten, auch wenn das Leben wieder hektischer wird. Wir haben auch unter uns Pfarrkollegen über die Gemeindegrenzen hinweg mehr ausgetauscht. Das ist sehr wertvoll.

Was geben Sie auch im Krisenmodus nicht auf?

Schwierige Frage. Vieles ist für mich ziemlich normal gelaufen in diesen Wochen. Was ich aber sehr schätze: Ich konnte ab und zu wieder ohne Unterbruch an einer Sache dranbleiben. Und: ich habe wieder mehr Cello gespielt. Das war ein Gewinn.

Und wen möchten Sie gerade am sehnlichsten umarmen?

Meinen Vater im Burgerheim. Wir können uns zwar seit neustem wieder am Fenster sehen. Aber eine Umarmung ist dann schon noch etwas ganz anderes.