Die Brache lebt und erscheint als Buch

von Luca Hubschmied 8. November 2019

Die Zwischennutzung auf der Warmbächlibrache darf noch ein Jahr länger bestehen als geplant. Der Verein, der die Brache nun vier Jahre lang belebt hat, gibt zum vorläufigen Abschluss schon jetzt ein Buch heraus, das die Erlebnisse und Erfahrungen auf der bunten Steinwüste festhalten soll.

Vor gut drei Wochen lud der Verein Warmbächlibrache zum grossen Abschlussfest. Nach vier Jahren Zwischennutzung ging auf der Brache eine kleine Ära zu Ende. Nun sollten die Bauarbeiten für die Siedlung Holliger beenden, ein Grossbauprojekt im Westen Berns, für das sechs gemeinnützige Bauträger zusammenspannen (wir berichteten). Doch es kam anders als alle dachten. Schon am Samstagabend des Abschlusswochenendes verkündete der Verein Warmbächlibrache, dass auf die vier Jahre Zwischennutzung noch ein fünftes folgen wird. Grund dafür sind Verzögerungen beim Baustart der neuen Siedlung. In vorausschauender Weise hat der Verein Warmbächlibrache seine Bewilligung für den Betrieb auf der Brache für zwei Jahre länger eingeholt als gemäss Terminplan vorgesehen. Eine neue Baubewilligung ist deshalb nicht nötig.

 

Zum (vermeintlichen) Abschluss der Zwischennutzung gibt der Verein Warmbächlibrache ein Buch heraus, das auf 120 Seiten Erlebnisse, Erfahrungen und Geschichten der letzten Jahre versammelt. Bunt und vielfältig wie die Brache selbst kommt es daher, beigetragen haben verschiedenste Menschen, die mit der Belebung der Brache in Berührung kamen. Um das Buch mit dem Titel «voll LEER – Brache Mit wirkung» in grösserer Auflage drucken zu können, sucht der Verein nun per Crowdfunding 7’777 Franken.

Die untenstehende Rezension ist im Buch selbst abgedruckt, wir veröffentlichen sie hier als kleinen Vorgeschmack auf das Werk, welches bei Gelingen des Crowdfundings bald im Buchhandel erhältlich sein soll.

 

 

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Brachebuchbesprechung

Nun sind sie alle abgezogen, die Freiräumlerinnen, Freiträumler und verwirrten Seelen, die sich auf die Ödnis der Brache verirrt haben. Ganze vier Jahre herrschte auf der flach liegenden Trockensteinmauer im Westen Berns Betrieb, mal lebhafter, mal weniger. Ein schwieriger Ort zum Beleben, diese karge, im Sonnenlicht flirrende Staublandschaft. Obs gelungen ist? Wen interessierts! Denn es wurde gemacht, nur das zählt! Oder wie eine weisse Dichterin einmal sagte: «Der von Schaffensfreude spricht, hat höchstens Mücken geboren.» Doch nun, zum Abschluss dieser Zwischennutzung, also das: ein Buch! Nicht genug, dass zahlreiche Jungvandalen auf dieser Warmbächlibrache schwer leserliche Grossbuchstaben an die Wände sprayen durften, nun erscheint also die Geschichte dieser Zwischennutzung in leserlicher Druckschrift auf Papier.

Wer‘s nicht lesen will (ein Fehler, glaub mir), soll hier gleich eine mitgelieferte Rezension finden, die es erlaubt, sich eine Meinung zu bilden, ohne sich zu bilden. Ähnlich funktioniert dies ja bei den meisten Arten von Zwischennutzungen entlang des Gradienten von Besetzung bis Pop-up Bistro: Keinen Standpunkt zu beziehen ist keine Option und differenzieren etwas für Monogame.

Um es also gleich vorweg zu nehmen: Das Brache-Buch ist genau so rausgekommen, wie zu erwarten war. Ein Sammelsurium von Eindrücken, oft auseinanderdivergierend, so dass ein starker Einband die fehlende inhaltliche Klammer drum herum kompensieren muss (okay so stark ist er nicht, der Einband, aber sollte hoffentlich reichen). Und dieser Umstand darf gerne als wunderschön und treffend bezeichnet werden. Alles andere wäre eine Lüge und ein verfälschter Eindruck. Doch zuerst der Reihe nach, aber welche Reihe? Das am Anfang vermutete Inhaltsverzeichnis scheint unauffindbar.

Stattdessen stehen auf einer Doppelseite Schlagwörter, chronologisch geordnet und irgendwo im Buch inhaltlich verortet. Also gleich reingehüpft. Der Blick fällt auf eine schwarzweiss gestaltete Doppelseite, die mit pechschwarzen Punkten gesprenkelt ist. Die schwermütige Gestaltung lässt aus den Tintenflecken Krokodilstränen werden.  Der Text von Matthias Bürgin ist eine unprätentiöse aber sehr treffende Einordnung des «Möglichkeitsraums» Brache. Ein paar Seiten nach vorne geblättert wird einem eine der konkreten Ausgestaltungen dieser Möglichkeit neonfarbig um die Ohren gehauen. Queens* of Hip Hop Festival. Ein paar Monate ists her und dient als Beispiel dafür, welchen Projekten hier Raum gelassen wurde.  

Noch etwas weiter nach vorne, eine weitere Textform eröffnet sich dem lesenden Menschen. Ein Interview mit der Brache herself. Zugegeben, geschickter Schachzug. Der letzte, noch ausstehende Beweis, dass die Belebung doch gelungen ist. Nun steht sie quicklebendig Red und Antwort, plaudert aus dem Nähkästchen. Erfrischend ehrlich, die intimen Details aus ihrem Leben, die hier offengelegt werden. In gewissen Punkten hat sie eine vorzügliche Position, diese Brache, wer sonst würde stolz von sich behaupten können, die grösste Stärke sei die eigene Leere?

Bedeutungsschwangerer wird es ein paar Seiten später. In einem Affront der seinesgleichen sucht, wird die Brache quasi über das Volksschulsystem gestellt, derart wird ihr pädagogischer Wert betont. Damit haben wir es gefunden, das Einfallstor für unsere plakative Darstellung der Brache-Freund*innen. Wer die Brache als Lernfeld bezeichnet, ist von anthroposophischer Naturpädagogik nicht weit entfernt und das heisst vereinfacht nichts anderes als: Hippies! Endlich dürfen wir benennen, was wir schon lange vermutet haben. Igitt, freie Liebe und freie Drogen. Und tatsächlich findet in ein und demselben Text der Ausdruck «anarchistisch» seinen Ausdruck. Anarchie? Also das mit Gewehren und alle-gegen-alle? Auf diesem Areal mitten in der Stadt?

Wer glaubte, die Verwaltungsbehörden wüssten, was sie taten, mit dieser Zwischennutzung durch den Verein Warmbächlibrache, ist nun hoffentlich eines Besseren belehrt. Dass Marco, wie ich im Epilog lese, sein Handy aufschraubt um daran rumzudoktorspielen, ist in mehrfacher Hinsicht vergebene Liebesmüh. Der Nachrichtendienst hört doch schon lange mit. Und das soll er auch dürfen, es war ja immer Platz für alle da auf dir, liebe Brache. Schön bleibst du, zwischen zwei Buchdeckeln, noch länger da und stichst hoffentlich der einen oder dem anderen mal wieder mit einer wilden Idee ins angefeuchtete Auge.

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