Engagiert euch! Wir haben ein offenes Haus zu bieten.

von Christof Berger 15. Oktober 2019

Die Villa Stucki erwartet einen grossen Umbruch ab Ende dieses Jahres. Selina Vonarburg ist Mitglied im Vereinsvorstand und will mithelfen, das Quartier- und Begegnungszentrum im Westen Berns neu zu positionieren.

Es ist finster im Innern der Villa Stucki. Im Erdgeschoss sind überall die Fensterläden geschlossen. Die Stimmung hat etwas von verlassener Ruine im tiefen Wald. Ein Stromausfall hat an diesem Nachmittag die Infrastruktur lahmgelegt. Vielleicht sind die Verhältnisse beim Interviewtermin mit Selina Vonarburg symptomatisch für den gegenwärtigen Zustand des Quartier- und Begegnungszentrums am Eigerplatz. Selina Vonarburg ist seit dem Frühjahr Vorstandsmitglied im Verein Villa Stucki und das QuartierMagazin möchte von der umtriebigen Allrounderin wissen, welche Zukunftsideen sie für das traditionsreiche Haus hat.

Die Villa habe ein riesiges Potenzial und gerade der Umbruch, den sie jetzt vollziehen müsse, sei eine grosse Chance, meint Selina Vonarburg. Tatsächlich lässt sich der bisherige professionelle Betrieb nicht mehr im bisherigen Rahmen finanzieren. Deshalb läuft aktuell ein von der VBG (Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit) koordinierter ergebnisoffener Prozess, der ein neues Konzept für die Villa Stucki zum Ziel hat. Der Vorstand der Villa Stucki ist in der Projektgruppe, welche diesen Prozess organisiert vertreten. Demnächst finden Veranstaltungen statt, in denen die Quartierbevölkerung ihre Anliegen und Bedürfnisse einbringen kann.

Die Villa Stucki habe sie auf dem Radar gehabt, seit sie in Bern wohne, sei damit aber lange nicht richtig in Berührung gekommen, sagt Selina Vonarburg. Sie wollte sich aber für das Quartier einsetzen, hat die Quartiergruppe «einViertel» mitgegründet, welche aus den Aktivitäten um den ersten autofreien Sonntag im Stadtteil hervorging. Und als bekannt wurde, dass sich die Villa verändern muss, hat sie sich in den Vereinsvorstand wählen lassen, um mitzusteuern. Sie möchte auch wieder vermehrt junge Erwachsene ansprechen. Am Sommerfest der Villa hat sie mit «einViertel» das Kulturprogramm organisiert. Das habe ein jüngeres Publikum angezogen, sagt sie. Die Quartiergruppe plant weitere Veranstaltungen in der Villa und im Quartier. Ein Quartierzentrum müsse sich mit den Bedürfnissen der Quartierbevölkerung wandeln. Das bedinge aber auch, dass die Leute den Mut aufbringen, aktiv mitmachen, sich ihre Freiräume – auch im öffentlichen Raum – zu erobern.

Wie das geschehen kann, davon zeugen die diversen Zwischennutzungen (Warmbächlibrache, Vorpark etc.). Geld muss man dabei nicht einsetzen, nur seine Zeit. Und man wird durch wertvolle neue Beziehungen entschädigt. In der Projektgruppe für die Neukonzipierung der Villa Stucki macht Selina selbstverständlich mit und sagt: «Die Botschaft muss sein, dass wir ein offenes Haus sind – dass man sich einbringen kann und soll.»

Selina Vonarburg wuchs im Kanton Luzern als Jüngste von fünf Geschwistern auf. «Wir sind eine MacherInnenfamilie gewesen und die Eltern haben uns alle Freiheiten gelassen. Das macht auch mutig», erzählt sie. Nach einer Floristinnen-Lehre ist sie nach Bern gezogen und wohnt seit nunmehr 15 Jahren im Weissenbühl. Beruflich war sie in verschiedensten Gebieten unterwegs und begann sich im Kollektiv des Frauenraums in der Reitschule zu engagieren. Sie organisierte mit ihren Mitaktivistinnen politische und kulturelle Veranstaltungen, nahm an unzähligen Sitzungen teil und kümmerte sich um die technischen Einrichtungen. Selina: «Das meiste, was ich heute für meine vielen Tätigkeiten wissen und können muss, habe ich in den Jahren im Frauenraum-Kollektiv gelernt». Heute arbeitet sie im Theater Matte als Theatertechnikerin und in der Administration und engagiert sich immer wieder in befristeten Projekten. So übernahm sie diesen Sommer die Regieassistenz beim Freilicht-Theater «Tüüfelskreis» im Eisenbahnerquartier oder fungierte als Beleuchterin auf einem Filmdreh. Bis dieses Frühjahr leitete sie zudem gemeinsam mit Nina Ramseier das Restaurant Wanderer an der Monbijoustrasse.

Selina ist durch ihre Projekte gut vernetzt – und durch diese Beziehungen ergeben sich immer wieder neue Vorhaben. Einige sind bezahlt, andere nicht. Sie sei unabhängig und müsse nur für sich selbst schauen, deshalb könne sie mit einem geringen und schwankenden Einkommen leben. Sie liebe Qualität, brauche aber keinen Luxus. Zudem bewirtschafte sie einen Schrebergarten und sei bis zu einem gewissen Grad Selbstversorgerin. Die Entwicklung des Stadtteils 3 in den letzten Jahren findet sie vielversprechend. Im Weissenbühl fühlt sie sich zuhause, schätzt am Quartier, dass es hier noch eine Bäckerei, einen Metzger gibt. Der Bioladen sei zwar beim Fischermätteli, aber mit dem Velo sei sie ja schnell dort. «Diese Quartierläden verdienen es, dass wir sie unterstützen», mahnt Selina und schmunzelt: «nicht nur, weil Metzger Urs Hulliger das Frühstücksfleisch zu unserem ‹Guerilla-Zmorge› gesponsert hat.»

 

Quelle: Quartiermagazin Stadtteil 3 Bern Sep – Nov 2019