Zweisprachige Klasse in der Matteschule

von Sophie Muralt 16. April 2019

Im August 2019 startet mit den «Classes bilinges de la Ville de Berne» das erste Zweisprachenprojekt in der Stadt Bern.

Nach dem Vorbild der Bieler Filière Bilingue wird ab dem Kindergarten bis zum 6. Schuljahr eine erste Klasse parallel in Deutsch und Französisch unterrichtet. Das Projekt beginnt im kommenden Schuljahr als Kindergartenklasse mit 24 Schülerinnen und Schülern im Schulhaus Marzili. Danach zügelt die Klasse ins Matteschulhaus, wo sie bis zum sechsten Schuljahr bleiben soll.

Mathe auf Deutsch, Geschichte auf Französisch – das Zweisprachenprojekt der Stadt Bern in Zusammenarbeit mit Kanton und Pädagogischer Hochschule (PH Bern) sieht vor, dass Schulklassen ab dem Kindergarten in zwei Erstsprachen unterrichtet werden. Anfang Mai 2018 wurde das Projekt von der Erziehungsdirektion des Kantons Bern für vier Jahre bewilligt. «Das Modell basiert auf einem gleichwertigen Unterricht in den beiden Sprachen Französisch und Deutsch ab Beginn der Schulpflicht», informiert Erwin Sommer, Vorsteher des Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung des Kantons Bern. Das heisst, Übersetzungen gibt es im Unterricht keine, weder auf Deutsch noch auf Französisch. Die Annahme ist, dass sich Kinder in der Primarstufe schneller verschiedene Sprachen aneignen. «Und gerade kleine Kinder lernen andere Sprachen mit Leichtigkeit und ohne Berührungsängste», erklärt Franziska Teuscher kürzlich an der Medienkonferenz zum Schulversuch.

Zwei Bildungskulturen

Erwin Sommer sieht eine Herausforderung in der Zusammenführung deutscher und französischer Lehrpläne, «da nicht nur zwei Sprachen, sondern auch zwei Bildungskulturen mit unterschiedlichen Lehrplänen aufeinandertreffen werden.» Mit dem Lehrplan 21 und dem «Plan d’études romand» sei aber hierfür eine gute Grundlage geschaffen worden. Durch die Kombination der beiden Lehrpläne soll im Unterricht sowohl eine sprachliche als auch eine kulturelle Prägung beider Sprachregionen erreicht werden. «Jede Klasse wird von zwei Lehrern betreut,» erklärt Jésabel Robin von der PH Bern. Die französische Lehrperson unterrichtet Französisch, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Ethik nach dem «Plan d’études romand». Die Fächer Deutsch und Mathematik werden gemäss dem Lehrplan 21 unterrichtet. Musik, Sport und Kunst werden unter den beiden Lehrpersonen je nach Kompetenzen gleichmässig aufgeteilt.

Bieler Vorbild

Vorbild für das Zweisprachenprojekt der Stadt Bern ist die Filière Bilingue, ein Projekt, das seit 2010 erfolgreich in Biel durchgeführt wird. Heute werden in Biel 320 Kinder in zweisprachigen Klassen unterrichtet. Kritikpunkt beim Bieler Projekt ist, dass die Kinder aufgrund ihres Wohnorts ausgewählt werden. Kinder, die näher an den Schulhäusern wohnen, in denen zweisprachige Primarklassen geführt werden, erhalten eher die begehrten Plätze. Die Schulstandorte befinden sich in Wohnquartieren mit mehrheitlich gut gebildetem Mittelstand. Die zweisprachigen Klassen, so die Kritiker, seien damit nur einer privilegierten Gruppe von Schülerinnen und Schülern zugänglich. Bei ungefähr doppelt so vielen Anmeldungen wie Plätzen zeigt sich zumindest eindeutig, wie gefragt das Angebot ist. Auch in Bern spielt neben anderen Auswahlkriterien der Wohnort eine Rolle. Kinder, die nahe dem Schulhaus Marzili wohnen, werden eher berücksichtigt.

Breites Interesse an der «Classe bilingue»

Insgesamt 115 Eltern haben sich für die 24 Kindergartenplätze im Schulhaus Marzili beworben. Das Angebot richtet sich laut Urs Schenk, Schulleiter Altstadt-Schosshalde Bern, an zweisprachige, französischsprachige und deutschsprachige Familien, die in der Stadt Bern wohnen. Auch Familien, «die zu Hause weder Deutsch noch Französisch sprechen», können ihre Kinder anmelden. Die erste zweisprachige Klasse besteht nun zu gleichen Teilen aus deutschsprachigen, französischsprachigen und bereits zweisprachigen Schülerinnen und Schülern. Ebenfalls berücksichtigt wurde die Ausgewogenheit der Geschlechter. Dass die Kinder der «Classe bilingue» aus der ganzen Stadt kommen und nicht wie üblich dort zur Schule gehen, wo sie wohnen, gab Anfang Februar im Stadtrat Anstoss zu Diskussionen. Im Rahmen der geplanten Sanierung des Matteschulhauses forderte CVP-Stadträtin Milena Daphinoff einen neuen Halteplatz für Eltern der Schülerinnen und Schüler der künftigen «Classe bilingue» im Matteschulhaus. Der Antrag wurde vom Stadtrat aber mit 50 zu 16 Stimmen abgelehnt, da die Matteschule problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sei. Dem Projektierungskredit für die Schulhaussanierung wurde dagegen klar zugestimmt.

Autorin: Sophie Muralt
Quelle: BrunneZytig 1/2019