Der Samichlous kommt im Sommer

von Thomas Göttin 10. Juli 2018

Was macht der Samichlous im Osten Berns und das erst noch im Juli? Auf den Spuren eines ungewöhnlichen Sommerbrauchs.

Vor einigen Jahren tauchte er plötzlich auf im Sommer. Oder er war schon immer um diese Zeit gekommen, nur habe ich es nicht bemerkt. Jedenfalls steht der Samichlous an diesem 6. Juli mit wallendem Bart, Sonnenbrille und rotem Mantel über den Badeshorts im wunderbaren Garten am Rande eines kleinen Teiches, ein Glas Wein in der Hand.

Die Hiltystrasse im Osten Berns hat wie jede Strasse ihre Geschichten und Besonderheiten. Dazu gehört, dass der Samichlous an der Hiltystrasse exakt ein halbes Jahr versetzt am 6. Juli kommt, oder besser könnte man sagen «erscheint», handelt es sich doch nicht um ein Kommen mit Laterne und Geläute, sondern um eine spontane Erscheinung mitten in blühenden Büschen und Blumeninseln am Gartenteich. Durch den Teich führen zwei-drei Steintritte, und wäre der Samichlous nicht aus Kunststoff, man würde ihm zutrauen, gleich über das Wasser zu schreiten.

Peter und Madeleine laden jeweils zum Treffen mit dem Samichlous ein, und ihre Begründung ist so simpel wie einleuchtend: Am 6. Dezember sind alle Chläuse voll beschäftigt und die Menschen damit. Aber zu Beginn des Sommers haben sie alle Zeit. So sind die Treffen jeweils eine Oase der Ruhe zu einem ganz speziellen Zeitpunkt, bevor die Hektik der letzten Arbeitstage in den Stress der Abreise in die Ferien umschlägt.

An einem dieser Chlausentage sassen wir im kleinen Kreis unter Nachbarn mit dem hochbetagten Komponisten Arthur Furer zusammen. Unvermittelt begann er über die Bedeutung des Tritonus in seinen Werken zu sprechen. Niemand war damit vertraut, und doch wurde dieses Gespräch über das «Teufelsintervall», die drei Ganztonschritte des Tritonus, dem Symbol der Grenze zwischen Leben und Tod, zu einem packenden Erlebnis durch die wache, lebendige Begeisterung eines Menschen, der selbst an der Grenze zum Tod stand.

Seither führt mich der Samichlous, ohne ein Wort zu sprechen, mit seiner lässigen, unaufdringlichen Präsenz wie von selbst zur Frage nach den wichtigen Momenten im Leben. Und vielleicht ist er eines Tages auch einfach nicht mehr da.