Die ganze Welt im Stadtteil vier

von Sabine Schärrer 30. Januar 2018

Im Stadtteil vier finden sich im Umkreis von 2 Kilometern über 50 Botschaften. Viele davon immer stärker bewacht, vergittert und mit Strassensperren gesichert. Das bringt Konfliktpotential.

Einstieg: Sonntag Abend im Punto

Wale Däpp und Ronny Kummer spielen Blues und erzählen. Wale Däpp spaziert in einer Stunde im Quartier von Botschaft zu Botschaft und damit durch die ganze Welt. Wie viele Botschaften hat er erwandert – 25? Er nimmt das zum Anlass für witzige philosophische Betrachtungen. Der Beifall des Publikums ist ihm sicher – aber kontrastiert mit meinen in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen als Geschäftsführerin der Quartierkommission QUAV4. Sind dem Botschaftswanderer die langen, unbelebten und kriegerisch wirkenden Abschnitte in den Quartiersträsschen nicht aufgefallen?

Rückblick: 1958 – 2018?

Ich bin in diesem Quartier aufgewachsen. Die Botschaftskinder waren eine echte Bereicherung unserer Schulklassen und Anlass für die Lehrerschaft, sich mit ihren Schülern über andere Sitten und Gebräuche zu unterhalten, was damals noch nicht unbedingt zum gutschweizerischen Primarschulstoff gehörte. Ich kenne heute noch das japanische Wort für Schnecke und habe den unwiderstehlichen Duft der US – Pausenschnittli mit der bei uns damals noch unbekannten Peanutbutter in der Nase. Bei den alljährlichen Verkäufen von Pro Juventute-Marken und Schoggitalern stritten wir uns darum, wer bei welcher Botschaft klingeln durfte.
Warum denn finden offenbar heute die Meisten – seien es direkte Nachbarn, oder allgemein QuartierbewohnerInnen – die starke Präsenz der vielen Botschaften gar nicht mehr lustig? Angesichts des deutlichen Missbehagens vieler QuartierbewohnerInnen erlaube ich mir einige Vermutungen:

1. Die schiere Menge: Wenn ich im Internet nachschaue, finde ich auf Anhieb nicht 25, sondern 53 Botschaftsadressen im Umkreis von etwa 2 Kilometern! Algerien, Angola, Arabie Saoudite, Aserbeidschan …. Ungarn, Vatikan, Weissrussland.
2. Sie liegen am falschen Ort: Die meisten davon, wie in unserem Stadtteil nicht anders möglich, liegen in Wohngegenden, dicht umgeben von privaten Ein- und Mehrfamilienhäusern. Die getroffenen Schutzmassnahmen, von Strassensperren, bewaffnetem Wachpersonal, hohen Löwenkäfigen, bis zu Natostacheldrahtrollen, Flutlichtanlagen, Antennenmasten etc. etc. passen in diese Umgebung wie die Faust auf’s Auge.
3. Das ‘Ausverkauf der Heimat – Syndrom’: Viele Botschaften besitzen ehrwürdige, meist denkmalgeschützte Villen, eigebettet in wunderbare alte Pärke. Beste Wohnlagen, die zudem mehrheitlich nur tagsüber als Büroraum genutzt werden. ‘Verdichtung’ lässt grüssen.
4. Die globale politische Realität bricht in unseren Alltag ein: Die scheinbar zur Sicherheit der Botschaften notwendigen Anlagen haben für unser Empfinden zum Teil groteske Ausmasse angenommen und spiegeln die Brutalität der Konflikte auf der ganzen Welt. Strassensperren und Natodraht haben aber bei uns weder an Schul- noch Spazierwegen das Geringste verloren!
5. Ghettoisierung mitten in Wohnquartieren: Die Botschaftskinder gehen wohl mehrheitlich nicht mehr in die öffentlichen Quartierschulen, private freundschaftliche Kontakte zwischen Botschaften und Nachbarn sind selten bis inexistent und so werden die exterritorialen Gebiete sozial zu fast kriegerisch abgeschotteten Edelghettos, die als Fremdkörper die Filetstücke des alten Baubestands besetzen. ‘Jeder für sich’ ist die Parole.

In diesem Sinn hat also Wale Däpp durchaus Recht: Die Botschaften sind Ausdruck der grossen Welt im Taschenformat – in unserem Fall konzentriert im biederen Berner Osten.

Konfliktpotenzial im QUAV4-Alltag

Beispiel gefällig? Im letzten Jahr, knapp vor den Herbstferien, erscheint das Baugesuch des State of Qatar, Doha, Ministry of foreign affairs, Adresse Schweizerhof, Bern, um am Lombachweg 35 mit Hilfe einer Zürcher Architektin eine neue Botschaft einzurichten. Nur ganz kleine Eingriffe an der denkmalgeschützten Villa Steiger, lediglich 1 Parkplatz im Park, dafür ein grosser Velokeller (sic) – wer’s glaubt zahlt einen Taler. QUAV4 macht Einsprache, formuliert grosse Skepsis und die Absehbarkeit weiterer, quartierschädlicher Eingriffe für weitreichende Sicherheitsmassnahmen: «zusätzliche Sicherheitsmassnahmen sind absehbar (…) die angrenzenden Quartiere ertragen keine weiteren diesbezüglichen Belastungen – Strassensperren mit Kontrollposten und die Gitterkäfige der chinesischen, türkischen und weiterer Botschaften stehen schon jetzt in krassem Widerspruch zu einem hochwertigen Wohnumfeld…»

Drei Monate verstreichen, wir hören nichts, dann sticht ein zweites Baugesuch zum selben Objekt und mit denselben Akteuren ins Auge. Diesmal geht es mit Hilfe eines Berner Landschaftsplaners um die Umgestaltung der Parkanlage und diesmal redet man Klartext: Erstellen einer zweiten Zufahrt, von fünf Parkplätzen, aussenliegenden Klimageräten (Doha-like, wohl), Parabolantennen, Überwachungskameras, Beleuchtungsmasten. Für den Gitterzaun anstelle des verfallenden Scheielihags wird wohl dann nochmals ein Gesuch nötig sein. Klar müssen wir wieder Einsprache machen mit sehr wenig Aussicht auf Erfolg, denn die Stadt stellt sich nicht auf unsere Seite, und Geld für Anwälte um bis zu höheren juristischen Ebenen weiterzuziehen haben wir nicht. Der politische Druck auf die Stadt kommt vom EDA, das sich natürlich auf das Wiener Übereinkommen von 1961 beruft, worin unter vielem Anderen die Hilfe zur Beschaffung und der Schutz der geeigneten Räumlichkeiten für die ‘Mission’ geregelt sind. Das Abkommen mag zum Weltfrieden beitragen, aber vom gutnachbarschaftlichen Zusammenleben im kleinen Massstab steht leider nichts drin.

Geld stinkt nicht

Das Übel an der Wurzel packen hiesse, Grundstücke in Wohnquartieren nicht an ausländische Staaten zu verkaufen. Als Privater hätte man nämlich keine Chance, diese zonenfremde Nutzung durchzusetzen. Wo kein Verkäufer, da keine Botschaft, könnte man sagen. Die Botschaftsgrundstücke wurden ja allesamt legal verkauft, teilweise schon vor langer Zeit. Fast immer stehen hinter diesen Verkäufen Erbengemeinschaften, vertreten durch Makler und Advokaten, denen es nur um den höchsten Preis geht. Die Nebenwirkungen der Verkäufe stehen nicht einmal auf der Verpackungsbeilage. Non olet – Geld stinkt nicht. So tickt halt die Schweiz.