Von Menschen und Computern

von Luca Hubschmied 1. August 2017

Als IT-Spezialist und Helfer für Vieles arbeitet Marcel Knöri im Quartierzentrum Tscharnergut. Seine Geschichte ist ein aussergewöhnliches Beispiel geglückter Integration.

Das Quartierzentrum im Tscharnergut ist verlassen an diesem Dienstagnachmittag, es sind Schulferien und die Öffnungszeiten deshalb eingeschränkt. In den weitläufigen Räumen sitzt Marcel Knöri an einem Tisch bei einem Kaffee. Am Morgen hat er noch die Infostelle des Quartierzentrums bedient, dort mehrheitlich SBB-Tageskarten oder Parkkarten verkauft. Nun sind die anderen Stühle hier im Café Tscharni leer, doch was für Aussenstehende wie ein ruhiges Sommerloch anmuten mag, ist für Marcel Knöri doch eine Zeit vieler Beschäftigungen. Der 42-jährige ist aktuell zu 35 Prozent beim Quartierzentrum im Tscharnergut angestellt, kümmert sich dort um IT-Infrastruktur, macht Ferienvertretungen. «Trotz aller Veränderungen ist es einfach immer noch das Tscharni», erklärt Marcel, der nur wenige hundert Meter entfernt aufgewachsen ist. Seit 2003 arbeitet er hier, kennt das Zentrum von verschiedensten Seiten. 

Vom Chemielaborant zum PC-Supporter

Dass er nun hier sitzt und mir freudig erklärt, was für Arbeiten in nächster Zeit noch anstehen – etwa alle Internetkabel neu verlegen – ist keine Selbstverständlichkeit. Im Vorfeld wurde mir gesagt, Knöri sei ein Beispiel einer erfolgreichen Integrationsgeschichte. Er holt jetzt weiter aus, sagt: «Ursprünglich habe ich Chemielaborant gelernt und mich dann später umschulen lassen zum PC-Supporter.» Es folgten schwierige Zeiten, Knöri wurde arbeitslos, lebte als Obdachloser ohne Zukunftsaussichten und meldete sich beim Sozialamt. Durch die Institution «Arbeit statt Fürsorge» – heute das Kompetenzzentrum Arbeit – erhielt er einen befristeten Arbeitseinsatz beim Quartierzentrum im Tscharnergut, einem Ort der ihm als Quartierbewohner schon aus Kindheitstagen bekannt war. Nüchtern erzählt er, dass diese Anstellung ein Glücksfall gewesen sei für ihn. Nach einem Jahr im Rahmen der Arbeitsintegration bot ihm das Quartierzentrum eine Stelle an, der vormals Arbeitslose Marcel Knöri hatte es geschafft, sich hier unentbehrlich zu machen. «Einer der Vorteile waren sicher meine Computerkenntnisse, die insbesondere zu dieser Zeit noch nicht selbstverständlich waren», erklärt er, «andererseits war ich sehr interessiert an der Arbeit im Quartierzentrum und habe überall ein bisschen meinen Senf dazugegeben. » Es sei schwierig einzuschätzen, wie er damals gewesen sei, meint Marcel, aber nicht zuletzt habe wohl auch seine Zuverlässigkeit eine wichtige Rolle gespielt. Man glaubt es ihm sofort, er wirkt mit seiner herzlichen Art, in der er über die Details seiner Arbeit spricht, wie ein sehr pflichtbewusster Mensch.

Anonymität und Grünflächen

Mittlerweile gehört er zu den langjährigsten Mitarbeitern im Quartierzentrum im Tscharnergut, auch wenn sein Pensum hier mittlerweile geschrumpft ist. Nebenbei hat er sich als selbstständiger PC-Supporter ein zweites Standbein aufgebaut, dabei geholfen haben ihm die Kontakte und vor allem auch die Unterstützung der damaligen Leitung des Quartierzentrums im Tscharnergut, Otto Wenger und Andreas Rohrbach. Seit über zehn Jahren sitzt er zudem in der Redaktion der Quartierzeitung «Der WulcheChratzer», und erledigt mittlerweile den grössten Teil der anfallenden Arbeiten bei der Herstellung des «Wulchis», wie Sammeln, Gestalten und Schreiben der redaktionellen Texte und Inserate nach Vorlagen und Absprache mit dem Redaktionsteam.

Im Moment sind einige Jugendliche im Rahmen eines Integrationsprojekts des Kompetenzzentrums Arbeit im Quartierzentrum tätig, sie befinden sich in einer ähnlichen Situation wie auch Knöri einst. «Ich habe aber nicht viel Kontakt mit ihnen», meint Knöri, «das mache ich auch absichtlich, ich bin schlicht zu wenig oft hier». Er kenne aus eigener Erfahrung das ungute Gefühl, wenn verschiedenste Leute von allen Seiten her mit neuen Aufträgen und Angelegenheiten an einen herantreten. «Es ist etwas schade, dass ich nicht öfters mit ihnen zu tun habe, aber es ergibt sich einfach nicht anders.»

Der Westen Berns hat Knöri auch privat nie ganz losgelassen, wohnte er doch zwischendurch im Weissenbühl, in der Nähe des Kocherparks und jetzt im Gäbelbach. Gefragt, was ihm denn hier so gefalle, lächelt er und antwortet: «Der Freiraum zwischen den Häusern. In der Stadt siehst du vom Balkon aus direkt ins nächste Haus. Man wohnt im Gäbelbach zwar ziemlich anonym in den grossen Blöcken, aber mir gefällt der freie Platz zwischen den Häusern mit den Grünflächen.» Das Quartierzentrum habe durchaus seine Berechtigung, erklärt er, auch wenn es eigentlich eher ein Relikt aus einer früheren Zeit sei, als sich die Menschen in der Nachbarschaft noch besser gekannt hätten.

Die Konsumgesellschaft

Als wir auf die Zukunft des Quartierzentrum im Tscharnergut zu sprechen kommen, unterbricht Knöri seinen Redefluss, drückt sich ein paarmal die Hände und entschuldigt sich, dass er jetzt etwas philosophisch werde: «Wir leben heutzutage in einer Konsumgesellschaft», holt er aus, «die Menschen sind sich gewohnt, alles vorgefertigt und geliefert zu bekommen.» Das Quartierzentrum funktioniere aber nicht so, es sei auf die Initiative der Menschen angewiesen: «Das Engagement hat über die Jahre hinweg schon etwas abgenommen, dabei lebt doch die Qualität der Gesellschaft genau davon», so Marcel. Er wünsche sich deshalb, dass vermehrt auch Projekte und Ideen aus der Nachbarschaft von der Quartierbevölkerung selber hier umgesetzt werden.

Marcel Knöri hat ursprünglich zwei Berufe erlernt, die bewusst wenig menschlichen Kontakt erfordern, dafür aber Kenntnisse chemischer Materie und Elektronik. Heutzutage wirkt er bestens aufgehoben in diesem Umfeld der Quartierarbeit, das Bild von ihm als schweigsamen Chemielaboranten kann man sich nur schwer vorstellen, wie er nun dasitzt und engagiert über die Bedeutung des Quartierzentrums erzählt. Dass er hier eine neue Chance erhalten hat, die nicht selbstverständlich ist, weiss er nur zu gut: «Ich bin dem Quartierzentrum fast etwas schuldig, oder besser gesagt den Leuten hier sehr dankbar dafür, was sie für mich geleistet haben.»

Als die Stadt Bern drohte, ab 2014 die vbg nicht mehr länger finanziell zu unterstützen, engagierte sich auch Marcel: Im Wulchechratzer vom März 2013 schrieb er einen sehr persönlichen Text über seine eigene Geschichte und über die Bedeutung der Gemeinwesenarbeit. Auch heute findet er, dass diese in der breiten Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen und geschätzt werde: «Alle vbg-Quartierzentren leisten wichtige Gemeinwesenarbeit. Doch was bedeutet das genau? Leider kann niemand einer externen Person diesen Begriff einfach und verständlich erklären. In Zukunft sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, den Wert dieser Arbeit auch nach aussen zu tragen. Man muss aber auch sagen, dass in letzter Zeit diesbezüglich grosse Fortschritte gemacht wurden.»