Sonja Preisig neu in Berns Norden

von Urs Frieden 17. Mai 2016

Stationär oder aufsuchend? Sozialarbeiterin Sonja Preisig über ihre ersten Erfahrungen als Quartierarbeiterin in Berns Norden.

Die Zeiten sind vorbei, dass Quartierarbeitende «nur» stationär in einem Quartierzentrum mit Ziel- und Anspruchsgruppen aller Art arbeiten. Heute ist aufsuchende Sozialarbeit gefragt, das Zauberwort heisst Sozialraumraumorientierung. In der Stadt Bern, bei der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (VBG), wurden einzelne Treffs stark heruntergefahren und dafür Ressourcen in die Mobilität der Angestellten gesteckt. Ein «Ausbau light», wie es VBG-Präsident Bruno Müller vor einem Jahr im Journal B formulierte.

Die VBG-Mitarbeiterin Sonja Preisig zum Beispiel hat zwar ein Büro im Wylerhuus. Dennoch ist sie im ganzen Stadtteil V (Nordquartier) unterwegs. Neuerdings hat die 36-jährige gebürtige Appenzellerin sogar noch einen zusätzlichen Standort – in der Ludothek Lorraine (jeweils Donnerstag/Freitag), und sie nimmt auch Einsitz im Verein Läbigi Lorraine. Preisigs Auftrag: Herausfinden, wo es in der Lorraine Lücken und Nischen für die verschiedensten Formen von Gemeinwesenarbeit gibt. Dass man Preisig als erstes den Wunsch nach einem Treff zutrug, ist ein schon fast witziger Beleg, wie sich behördliche Langfrist-Strategien und reale Bedürfnisse in die Quere kommen können.

Wo unterstützen, wo vermitteln?

Seit der Schliessung des InfoPunkt 2003 gibt es in der Lorraine effektiv keinen eigentlichen Quartier-Treff mehr. Aber: «Mit ihren vielen Restaurants, wie Kairo, Brasserie Lorraine oder Wartsaal, dem Modi-Treff, dem Centralpark und dem Spielbetrieb gibt es, unabhängig von der Gemeinwesenarbeit, recht breite und tragfähige Strukturen in der Lorraine», sagt Sonja Preisig. Bedarf sieht sie vor allem darin, stark belasteten Familien, die oftmals nicht in den vielfältigen Strukturen der Lorraine eingebunden sind und teilweise in schwierigen Wohnverhältnissen leben, Zugang zu verschaffen.

Aufgabe der Quartierarbeit ist es, zu informieren, zu unterstützen und zu vernetzen, insbesondere bei Anliegen der Quartierbewohnenden zur Verbesserung der Lebensqualität. «Es ist mein Ziel, mit der Quartierbevölkerung und den Institutionen im Kontakt zu sein und so bei Anliegen kontaktiert zu werden oder mich im richtigen Moment einbringen zu können», sagt Sonja Preisig, die seit einem halben Jahr bei der VBG arbeitet und dabei stets alle Alterskategorien von 0 bis 100 im Auge behalten muss. Bei den ganz kleinen Kindern kann es zum Beispiel um Frühförderung gehen. Hier arbeitet Preisig für das städtische Projekt «primano».

Im Alter geht es um andere Themen: Da kann ein durch die Post entfernter Briefkasten ein akutes Problem sein. Preisig: «Es gehört auch zu meinen Aufgaben, das Quartierleben durch die Seniorinnen-Brille anzusehen. Zum Beispiel: Kommt man als alter Mensch bei diesen kurzen Grünphasen in einem Anlauf über die Winkelriedstrasse?»

Ein Zeppelin fliegt über die Lorraine

Aktuelles Beispiel für Sonja Preisigs Engagement in der Lorraine: Wegen fehlender Betriebsbewilligung steht das Zeppelin-Lokal an der Lorrainestrasse momentan oft leer. «Dies stösst vielen Quartierbewohnenden auf, wenn man sieht, dass Räume Mangelware sind. Das Anliegen, den Raum tagsüber als Treffpunkt zu öffnen, stiess bei mir auf offene Ohren. Es passt zum Anliegen anderer Quartierbewohnenden, dass sie sich einen Quartiertreffpunkt wünschen», sagt Preisig. Und so habe man am 6. April den Raum versuchshalber für einen Tag geöffnet. Viele Leute hätten grosses Interesse an der Idee gezeigt. «Wie es weiter geht, bestimmen die Quartierbewohnenden und deren Engagement. Und natürlich, ob Räumlichkeiten zur Verfügung stehen oder nicht.»

Positive Bilanz

Nach einem halben Jahr Arbeit in Berns Norden kann Sonja Preisig eine positive Bilanz ziehen: «Mich im Spannungsfeld zwischen stationär und aufsuchend zu bewegen, ist mir soweit gut gelungen.» Ihre Vorgängerin Miriam Schwarz – die ehemalige SP-Stadträtin ist pensioniert worden – habe ihr eine langerarbeitete Basis und viele gute Vernetzungen hinterlassen. Dies und die herzliche Aufnahme im Stadtteil habe ihr den raschen Einstieg erleichtert. «Ich habe beispielsweise durch bestehende Projekte und Angebote wie das Nähatelier für Migrantinnen und den MuKi-Deutschkurs einige Kontakte zu Quartierbewohnerinnen und Quartierbewohnern schaffen können und dadurch wiederum ergaben sich Themen, welche nun im und mit dem Quartier bearbeitet werden.»