Gotthelf-Edition: Was sagt der Politiker?

von Fredi Lerch 3. Juni 2014

Ein anonymer Sponsor steigt bei der mit öffentlichen Geldern lancierten Gotthelf-Edition ein. Ist das ein Problem? Ein Gespräch mit Blaise Kropf, dem Grossrat der Grünen, der sich mit der Materie auskennt.

2005 hat der Grosse Rat die Gotthelf-Edition der Universität Bern mit 6 Millionen Franken aus dem Lotteriefonds auf den Weg gebracht. Nicht zuletzt dank Ihnen, Blaise Kropf.

Blaise Kropf:

Ich war damals in der Steuerungskommission, die heute Finanzkommission heisst. Von dieser Kommission delegiert, gehörte ich dem Ausschuss der Polizei- und Militärdirektion an, die für den Lotteriefonds zuständig ist. Weil ich Vorsitzender dieses Ausschusses war, lag für den Antrag an das Parlament die Federführung bei mir. Ich habe mich aus Überzeugung für den Kredit engagiert, weil das Projekt spannend ist und ich als Historiker überzeugt bin, dass die Edition bislang nicht zugänglicher Texte die Forschung zu Gotthelf und seiner Zeit voranbringen wird.

Unterdessen geht die Anschubfinanzierung, zu der auch 6 Millionen des Nationalfonds gehören, allmählich zur Neige. Müsste das Kantonsparlament jetzt nicht Geld nachschiessen, um im Spiel zu bleiben? Um die Übersicht zu behalten, welche Privaten sich mit welchen Interessen um Gotthelf bemühen?

In einer idealen Welt würde ich mir wünschen, dass solche Projekte ganz von der öffentlichen Hand finanziert werden. Bloss ist die Realität ein bisschen anders. Der Grossratsbeschluss hat 2005 gelautet, dass es über die 6 Millionen Franken hinaus nichts mehr gibt.

Das ist unumstösslich?

Man könnte sich nach zehn Jahren auf den Standpunkt stellen, man sei schlauer geworden und eine nächste Generation im Parlament solle die Chance bekommen, die Frage neu zu beurteilen. Aber die damals gewählte Formulierung ist schon sehr eindeutig. Abgesehen davon: Auch wenn der Grosse Rat dazu gebracht werden könnte, noch einmal 6 Millionen zu sprechen, wäre dieses Projekt noch längst nicht fertig finanziert.

Dann bleibt nichts anderes als Drittmittel im zweistelligen Millionenbereich.

Ich teile die Einschätzung von Journal B, dass Christoph Blocher als Sponsor problematisch wäre. Hier beruhigt mich das klare Dementi der Uni. Aber grundsätzlich bin ich durchaus der Meinung, dass eine Drittmittel-Mitfinanzierung bei einem Editionsprojekt möglich sein soll. So wurde die historisch-kritische Ausgabe von Gottfried Kellers Werken in Zürich mit Geldern von Drittelmittelgebern fertiggestellt. Unter anderem mit Geld der Credit Suisse.

Gotthelf-Bände mit dem CS-Logo auf dem Vorsatzblatt?

Vielleicht keine Wunschvariante, aber es gäbe Schlimmeres: Bei der CS wissen wir doch zumindest, dass die Bank zurzeit andere Sorgen hat, als sich in eine solche Editionsarbeit einzumischen. Allgemein kann man privates Sponsoring als Malaise sehen. Aber vermutlich zeigt die jetzige Situation bei der Gotthelfedition eine strukturelle Problematik solcher Projekte. Anders als mit Drittmitteln sind sie gar nicht mehr zu finanzieren.

Damit ist aber auch akzeptiert, dass Private Einfluss nehmen können auf die Frage, was wann unter welchen Fragestellungen wissenschaftlich erforscht werden soll…

…was allerdings im naturwissenschaftlichen Bereich viel problematischer ist: Wenn der Nestlé-Konzern, wie man letzthin hat lesen können, an der ETH Lausanne bei Lehrstuhlbesetzungen mitbestimmt, dann finde ich das brandgefährlich. Und klar soll man nach dem Grundsatz von der Reinheit der Lehre auch im geisteswissenschaftlichen Bereich kritisch hinschauen. Zudem meine ich: Bei einem Editionsprojekt ist das Problem der Einflussnahme von Privaten wohl besser kontrollierbar als bei einem Forschungsprojekt mit vielen normativen Fragestellungen und Interpretationen.

Wer zahlt, befiehlt, gilt also nicht, wenn es um Geld und Phil-I-Geist geht?

Der Spruch darf an einer Uni sowieso nie gelten. Bei der Gotthelfedition erwarte ich, dass die Leitung der Uni Bern klare Vereinbarungen erarbeitet, die sicherstellen, dass Drittelmittelgeber keinerlei Möglichkeit zur Einflussnahme haben auf den intellektuellen Produktions-, Publikations- und Editionsprozess.

Es gibt aber zudem offenbar Bestrebungen, den neuen Projektleiter Christian von Zimmermann mit einer Stiftungsprofessur auszustatten, also mit einer Professur aus Drittmitteln. Keine Einflussnahme auf das Projekt?

Ich weiss heute nicht, was der Sponsor einer solchen Edition mit dieser Professur erreichen will. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dahinter Überlegungen im Zusammenhang mit einer Einflussnahme auf das Projekt stehen. Das wäre ein «no go». Aber realistischer ist vielleicht die Überlegung, dass man sicherstellen möchte, dass das Leitungspersonal des Projekts fokussierter an der Edition arbeiten kann. In diesem Fall: Warum nicht?

Misstrauen ist aber doch angesagt, solange man nicht weiss, wer dieser Sponsor ist?

Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass man während des Verhandlungsprozesses nichts öffentlich machen will. Aber wenn klar ist, dass das Projekt auf eine neue finanzielle Grundlage gestellt wird, muss die Universität informieren, wie die neue Regelung lautet und wer der Sponsor ist. Die Frage, woher das neue Geld kommt, ist von öffentlichem Interesse. Daran führt kein Weg vorbei.

Sie haben als Historiker im Forschungsteam für den Bergier-Bericht mitgearbeitet. Wenn Sie ihre damaligen Erfahrungen mit den Geschichten vergleichen, die sich zurzeit um die Gotthelf-Edition ranken: Gibt es Parallelen?

Allenfalls insofern, als beides grosse geisteswissenschaftliche Projekte sind. Projekte von dieser Grössenordnung haben ihre eigenen Gesetzmässigkeiten und Schwierigkeiten. Insofern sind mir schon gewisse Probleme bekannt vorgekommen, als ich nun über die Situation bei der Gotthelf-Edition gelesen habe.

Beispielsweise?

Geisteswissenschaftliche Arbeit ist ja meist ein einsames publizistisches Geschäft am Schreibtisch oder in der Bibliothek. In grossen Projekten arbeitet man aber in Teams zusammen, hier ist Diskussionskultur und Gruppendynamik wichtig. Und die Leitung liegt bei Professoren, die als publizistische Cracks plötzlich Mitarbeitende zu gemeinsamer Forschungsarbeit anleiten sollen und diese Coaching-Arbeit gelegentlich auch als Zurückstufung erleben. In der Gotthelfedition kommt die riesige zeitliche Dimension von rund dreissig Jahren hinzu. Da braucht es in der Personalpolitik viel Fingerspitzengefühl, um die Kontinuität zu sichern.