Oh Afrika

von Gerhard Meister 5. September 2018

Im Kaufleuten in Zürich fand eine Podiumsdiskussion statt unter dem Titel Wer ist schuld am Elend Afrikas? Auf dem Podium diskutierten, geleitet von einem Journalisten des Tagesanzeigers, ausgewiesene Fachleute.

Auf der einen Seite war David Signer, der Afrika-Korrespondent der NZZ, auf der anderen Tina Goethe von Brot für alle. Zwischen diesen beiden sass, auch von seinen Positionen her oft in der Zwischenlage Mohomodou Houssouba, Schriftsteller und Dozent am Afrika-Institut in Basel. Der grosse Saal des Kaufleuten war bis auf den letzten Platz besetzt. In einer der reichsten Städte der Welt kamen fünfhundert Leute, um zu hören, wer schuld hat daran, dass in Afrika die Mehrheit der Leute bitterarm ist.  Erstaunlich dieses Interesse für Afrika, von dem oft gesagt wird, sein Schicksal interessiere hierzulande nicht. Aber der Saal war voll. Fünfhundert Leute hatten Platz genommen und wollten wissen, wer ist schuld an dieser in so vielen Fällen tödlichen Armut. Aber genauso war es natürlich nicht. An den Reaktionen auf die Statements auf dem Podium liess sich klar erkennen, jede und jeder hatte schon seine Vorstellungen mitgebracht davon, wo die Schuld liegt für Afrikas Elend und applaudierte, wo auf dem Podium gesagt wurde, was der eigenen Meinung entsprach oder protestierte, wenn es dagegen ging. Sie kennen Afrika nicht, rief beispielsweise eine Afrikanerin im Saal zu Signer, der sich seit Jahrzehnten mit Afrika auseinandersetzt und heute in Dakar lebt.

Jeder, der Zeitung liest oder vielleicht schon einmal ein entsprechendes Buch gelesen hat, kann die Gründe aufzählen, die für Afrikas Elend verantwortlich gemacht werden: der Kolonialismus, die ungerechten, sprich: ausbeuterischen Handelsbeziehungen zu den reichen Ländern, dann die unfähigen, korrupten afrikanischen Regierungen und die schwachen, rechtsunsicheren Staaten, die damit einher gehen. Und je nach politischer Einstellung und Weltbild sind es dann eher die externen Gründe, die zählen, kurz: im linken Weltbild sind Europa und die reichen Länder schuld am Elend und Afrika das Opfer von Kolonialismus und Ausbeutung oder dann sind, im rechten Weltbild, die Afrikaner selber schuld, dass es ihnen nicht besser geht.

Und genau nach diesem Muster lief es dann auch auf diesem von Fachleuten besetzten Podium, jedenfalls im Fall von David Signer, dem Afrika-Korrespondenten der NZZ. Natürlich leugnet Signer weder Kolonialismus noch billigt er – wenigstens auf Nachfrage – die Geschäftspraktiken von Glencore im Kongo, aber verantwortlich für das Elend sind die afrikanischen Regierungen. Symptomatisch sein Statement, mit dem er in der Werbung für die Veranstaltung angekündigt wurde: Der eigentliche Skandal hinter dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer ist nicht die «Abschottung Europas», sondern die Gleichgültigkeit der afrikanischen Regierungen gegenüber dem Exodus. Woher das Bedürfnis, eigentliche und uneigentliche Skandale voneinander zu unterscheiden, wenn nicht daher, ein Weltbild zu haben, in dem klar zwischen dreckigen Händen und sauberen Westen unterschieden werden kann?

Signer nannte dann noch einen weiteren Grund für Afrikas Unterentwicklung: Die afrikanische Kultur sei antikapitalistisch und sozialistisch auf Solidarität ausgerichtet, also: wer Geld hat, muss es verteilen und hat deshalb, wenigstens in der Logik kapitalistischen Denkens, keinen Antrieb, welches zu verdienen. Schade, ging aus dieser Feststellung keine Diskussion hervor darüber, wie Afrika uns möglicherweise helfen könnte, aus dem Zuviel an Kapitalismus und Egoismus, in das wir hineingeraten sind, wieder hinaus zu finden.

Den Standpunkt der Linken vertrat Tina Goethe, weniger dogmatisch als Signer insofern, dass sie keine globalen Urteilsprüche verkündete, aber doch verengt im Blick, den sie ausschliesslich auf die Verantwortung des Westens gerichtet hielt. Symptomatisch hier: Auf die Frage, wie sie die Politik der Chinesen in Afrika beurteile, beurteilt sie nicht die Chinesen, sondern die Europäer ( die Chinesen sind nicht schlimmer als die Europäer, früher waren diese noch schlimmer).

Dass es Europa besser machen könnte, wie Goethe behauptet, das bezweifelte auch Signer nicht. Allerdings, ob es viel ändern würde. Goethe wurde mit folgendem Statement vorgestellt:

Noch immer ist Afrika vor allem billiger Rohstofflieferant. Die Gewinne daraus fliessen am Fiskus vorbei auch in die Steueroase Schweiz. Nur ein Bruchteil der vielen Milliarden, die den Ländern als Steuereinnahmen verloren gehen, investiert die Schweiz in Entwicklungszusammenarbeit.

Tatsächlich stellt sich die Frage: bedeutet mehr Entwicklungszusammenarbeit auch wirklich mehr Entwicklung? Wer glaubt noch, dass Afrikas Probleme allein mit Geld gelöst werden können?  Was passiert, wenn ein Staat wie der Kongo die Milliarden, die ihm jetzt entgehen, an Steuern einnehmen könnte? Wieviel davon würde den Bürgerinnen Bürgern zugute kommen, wieviel verschwinden in privaten Taschen?

Gegen den Fatalismus, der bei der Beschäftigung mit dem Thema aufkommen kann, wies der Dritte in der Runde, Mohomodou Houssouba, darauf hin, dass es immer ein Wahl gibt und also Handlungsräume bestehen, hier in Europa ebenso wie dort in Afrika. Ein wahres Wort, aber kein wahrer Trost im Wissen, wie schlecht diese Handlungsspielräume seit Jahrzehnten genutzt werden.