Ein Requiem auf die Tageszeitung

von Guy Krneta 24. Januar 2018

Der Film «Die Vierte Gewalt» von Dieter Fahrer ist ein Requiem auf die Tageszeitung. Ausgehend vom Umzug seiner betagten Eltern ins Heim, denkt Fahrer über den Medienwandel nach. Darüber, wie es den «Journis» wohl dabei ergehe, jenen, «die Macht haben und doch häufig machtlos sind». Ob sie «Piloten des Wandels» seien oder eher «Passagiere» – einem Zitat folgend von Ludwig Hasler, das am Anfang des Films steht.

Ein Leben lang den «Bund» abonniert

Fahrers Eltern waren besondere Zeitungsleser, vielleicht auch typische. Sie hatten den «Bund» ein Leben lang treu abonniert. Er scheint ihre hauptsächliche Lektüre gewesen zu sein und gab ihnen auch im hohen Alter Gesprächsstoff, stiftete also Gemeinschaft und Sinn. Zudem war der Vater ein begabter Zeichner, der Zeitungsartikel ausschnitt und sich von ihnen zu Tagesskizzen anregen liess. Die Mutter verwendete die Zeitung auch, um Bohnen zu rüsten und Kartoffeln zu schälen. Und die Söhne brauchten die Zeitung im Wald, um Feuer zu entfachen.

Fahrer begibt sich in den journalistischen Alltag und schaut unterschiedlichen Redaktionen über die Schulter. Die Aufnahmen sind eindrücklich und machen deutlich: Den Beruf der Journalistin und des Journalisten gibt es so nicht mehr. Der Auftrag, den sich die vier Redaktionen geben oder von dem sie meinen, dass er ihnen gegeben sei, ist komplett verschieden. Die Tätigkeiten sind kaum mehr vergleichbar.

Neugierde und Unvoreingenommenheit

Die Rolle des Dinosauriers kommt dabei dem «Bund» zu, bei dem Stellenabbau, Spardruck und Büroraumverknappung tägliches Brot sind. Ein paar Aufrechte scheinen unablässig ihr Handwerk und ihren Ethos des Journalismus zu verteidigen. In Online-Seminarien werden sie auf die nicht hinterfragbaren Notwendigkeiten des «Systems» eingeschworen. Neugierde und Unvoreingenommenheit seien nach wie vor Antrieb seiner Tätigkeit, sagt Lokalreporter Marc Lettau sinngemäss in die Kamera. Dabei versprüht er wenig Enthusiasmus.

«Native Ads» als Geschäftsmodell

Enthusiasmus ist die Sache von «Watson», einem Online-Medium, das einen Grossteil seines Umsatzes mit «Native Ads» erzielt. Hier herrscht begriffslose Geschwätzigkeit: «Wir surfen wie schon gefilterter», sagt Rafaela Roth, Leiterin Team Reporter, über ihre «Generation». Wenn der Medienwandel zur «Generationenfrage» erklärt wird, erübrigt sich jede weitere Auseinandersetzung. Sieger der digitalen Revolution ist, wer technisch auf dem aktuellen Stand ist.

Mit ihren «anwaltschaftlichen» Reportagen praktiziert Roth immerhin eine Art linken Boulevard. Nebenan fischt die Kollegin Madeleine Sigrist im «Ressort Spass» Filme aus dem Internet und bemüht sich, «die Seite gut zu füllen». Und Chefredaktor Maurice Thiriet zeigt bei seiner «Blattkritik» wie frisch vom Marketing-Seminar, welches «Teaserbild» ihn «nicht wirklich reingezogen» habe.

In einer späteren Einstellung lobt Olaf Kunz, verantwortlich für «Native Advertising» bei «Watson», die gute Arbeit der Redaktion. Im Bereich «Native Ads» könne ihnen niemand das Wasser reichen. Die «Glaubwürdigkeit» gegenüber Werbekunden sei gross, da die gesponserten Beiträge als «Teil des Gesamtprogramms» wahrgenommen würden. Noch schreibt «Watson», wie en passant zu erfahren ist, keine schwarzen Zahlen und wird von AZ-Medien-Verleger Peter Wanner finanziert. Doch scheint die Nachfrage nach Formaten, welche die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung gezielt verwischen, gross zu sein und das bisherige Angebot zu übersteigen.

Glaubwürdigkeit gegenüber wem?

Einen anderen Begriff von Glaubwürdigkeit finden wir beim «Echo der Zeit» von Radio SRF. Seit Jahr und Tag gibt es die Sendung parallel zu den gedruckten Zeitungen und der Medienwandel hat hier kaum Spuren hinterlassen. «Ich bin kein Meinungsmacher, meine Aufgabe ist es, ein Thema so zu vermitteln, dass sich der Hörer ein eigenes Bild machen kann», sagt Moderator Samuel Wyss im Film. In Umfragen wird «Echo der Zeit» von Hörerinnen und Hörern regelmässig eine sehr hohe Glaubwürdigkeit attestiert. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der stabilen Finanzierung durch die Öffentlichkeit. Sollte die «NoBillag»-Initiative am 4. März angenommen werden, änderte sich die Situation dramatisch. Darauf weist Dieter Fahrer hin, allerdings erst im Nachspann.

Wie Phönix aus der Asche

Im zweiten Teil des Films gibt’s Hoffnung, in Form von «Project R», der Vorstufe zur mittlerweile gestarteten Online-Zeitung «Republik». Der Film begleitet die Gründer Constantin Seibt und Christof Moser zu ersten informellen Treffen mit ähnlich gesinnten Kolleginnen und Kollegen. «Ich glaube, Haltung ist eine der wichtigsten Waren, die man heute verkaufen kann… Alle möglichen Leute haben zwar diese und jene Parole, aber sie haben keine Haltung», sagt Seibt zur Intention seines Projekts. Die «Republik» hatte zu diesem Zeitpunkt erste zugesagte Gelder und stand vor ihrem schliesslich fulminant verlaufenen Crowdfunding.

Wie Dieter Fahrer den Auszug aus den Berner «Bund»-Büros im Gegenschnitt zum Einzug der «Republik» ins Zürcher Hotel «Rothaus» zeigt, ist zugegebenermassen polemisch. Aber es ist eine sinnige Polemik, da die beiden Vorgänge ursächlich miteinander verbunden sind. Beide sind Folgen des Abbaus der Publizistik bei «Tamedia», dem grössten privaten Medienhaus des Landes. Bei der «Republik» sehen wir Journalistinnen und Journalisten, die nicht länger auf dem sinkenden Schiff ausharren wollen, beim «Bund» den Vollzug der Management-Entscheide aus Zürich.

Das Sterben erfolgt in Raten

«Wenn eine Zeitung stirbt», sagt Constantin Seibt in Fahrers Film in einem Ausschnitt aus der «Deville Late-Night-Show», «dann spart man normalerweise vorher und alle arbeiten wie wahnsinnig und versuchen die Lücke zu füllen. Dann wird die Zeitung immer grauer und dünner und immer jämmerlicher. Und wenn sie dann stribt, dann haben alle das Gefühl, sie ist zurecht gestorben, weil sie schlecht war.»

Erodiert ist das bisherige Finanzierungsmodell der Tageszeitung zuerst durch Abwanderung der Kleininserate ins Internet, heisst es im Film. «Tamedia» habe das Geschäft durch Zukauf der entsprechenden Plattformen zwar ins Haus zurückgeholt, sei aber nicht bereit, Gewinne daraus wieder der Publizistik zur Verfügung zu stellen. Spätestens hier drängte sich ein Interview mit «Tamedia»-Verwaltungsratspräsident (und Mitinhaber) Pietro Supino auf, dessen Familie sich 2016 beispielsweise 34 Millionen Franken an Dividenden auszahlen liess. Leider fehlt dieses Interview im Film.

Der Film leistet viel, er kann nicht alles leisten

Auch andere Aspekte des Medienwandels kommen zu kurz oder nicht vor: Die Übernahme der ökonomisch angeschlagenen Zeitungen durch Christoph Blocher – ein Szenario, das über Basel hinaus nächstens Graubünden, Biel, Schaffhausen und anderen Regionen blühen könnte. Oder die Frage, was der Medienwandel, neben den Folgen auf die journalistische Arbeit, für Politik und Kultur bedeutet (eigentlich auch für Wirtschaft und Sport). Überhaupt die Frage, was es mit dieser «Vierten Gewalt» auf sich hat: Warum unabhängige Medien notwendig sind für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft.

Ein Film kann nicht alles leisten. Dieter Fahrers Film leistet viel. Er zeigt die «Journis» als «Passagiere des Wandels» und – im Fall der «Republik» – auch als «Piloten», die versuchen den Steuerknüppel in die Hand zu bekommen.

Darüber hinaus zeigt der Film, wie fundamental sich die journalistische Praxis durch die Digitalisierung verändert und verändert hat. «Bund»-Redaktor Marc Lettau klagt, «wissen und googeln» sei dasselbe geworden. – «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz hält entgegen, dass die journalistische Qualität durch den Medienwandel gesteigert worden sei. Früher habe es gereicht, nach einer Pressekonferenz ins Büro zu gehen und aufzuschreiben, was an der Pressekonferenz gesagt wurde. Heute wüssten die Leute das Wesentliche schon, wenn der Journalist zu schreiben anfange. Das zwinge ihn, mehr zu sagen zu den Hintergründen. Das sei auch, was Qualitätsmedien ausmache. Und wofür es nächstens wieder eine Kundschaft gebe, die bereit sei zu zahlen.

Für «Watson» schliesslich ist das Internet eine grosse Fundgrube, in der es wühlen und die Funde frisch aufbereitet dem Internet wieder zur Verfügung stellen kann. So auch Aufnahmen von Webcams aus der ganzen Welt, in denen kaum etwas Aussergewöhnliches zu entdecken ist. Unbearbeiteter Alltag, der auch Dieter Fahrer fasziniert. Und den er zunehmend in den Film einfliessen lässt, vielleicht als Gegenbild zu den «Breaking News».

Gute Nacht

Fahrers Eltern bilden die Klammer für den Film. Sie dienen als persönlicher Zugang des Filmemachers zum Thema und sorgen für Emotionalisierung der womöglich etwas papierenen Sache. Damit überspannt der Filmemacher den Bogen nach meinem Geschmack an einer Stelle: Da, wo er seine mittlerweile hoch betagten Eltern ein Abendlied singen lässt vor dem (definitiven) Zu-Bett-Gehen. Die Szene ist fragil und berührend. Doch berührt mich hier die Vertrautheit der beiden Menschen, der Versuch, Würde und Zuneigung zu bewahren. Das hat mit Zeitungssterben nichts zu tun. Und auch der Schlenker zum Schluss, dass man jetzt nicht mehr wisse, wo die Todesinserate erscheinen sollten, wirkt aufgesetzt. Längst ist das Internet auch ein digitaler Friedhof mit entsprechenden kommerziellen Angeboten. Und gerne übernehmen boomende lokale Gratisanzeiger die bei älteren Menschen beliebte Rubrik.

Alles in allem hat Dieter Fahrer mit «Die Vierte Gewalt» einen wichtigen Beitrag zur Zeit geschaffen, einen bild- und zugkräftigen Film. Der uns Anlass sein kann über das Verschwinden von Öffentlichkeit in der Öffentlichkeit zu reden – über NoBillag hinaus.

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«Die Vierte Gewalt» von Dieter Fahrer hat seine Premiere an den Solothurner Filmtagen und zwar am Samstag, 27. Januar um 18.00 Uhr im Landhaus sowie am Dienstag, 30. Januar um 17.45 Uhr in der Reithalle.

Der Kinostart erfolgt am 8. Februar.

In Bern findet bereits am Mittwoch, 7. Februar im cineClub eine Voraufführung mit dem Medienjournalisten Nick Lüthi statt. Sowie eine Parlamentariervorführung in Zusammenarbeit mit «Cinésuisse» und «Bern für den Film» am Dienstag, 27. Februar ebenfalls im cineClub mit Nationalrat Matthias Aebischer.

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Zur Transparenz: Guy Krneta wurde während der Produktion des Films «Die Vierte Gewalt» von Dieter Fahrer kontaktiert. Es bestand der Plan, Teile seines Theaterstücks «In Formation» (Zürcher Schauspielhaus, 2016/2017) in den Film zu integrieren. Dieser Plan wurde später fallen gelassen. Stattdessen erscheint die komplette Aufzeichnung von Krnetas Stücks nun als «Bonus-DVD» zu Fahrers Film.