Der letzte Zeitungsleser

von Guy Krneta 22. September 2016

Der Buchtitel hat es mir angetan: «Der letzte Zeitungsleser». Und auch der Verfasser spricht für sich: Michael Angele, Schweizer Autor und Germanist, lebhaft seit vielen Jahren in Berlin. Erst war er Mitbegründer der ersten Deutschen «Netzzeitung». Dann betreute er die Berliner Seiten der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Heute nun ist er stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung «Der Freitag». Wenn so einer über Zeitungsleser schreibt, wissen wir: Hier schreibt einer über seinesgleichen.

Ja, das Buch ist ein Abgesang. Ein liebevoller und melancholischer. Und doch: Angele lässt keinen Zweifel daran. Es ist zuende.

Darüber empört sich Angele nicht. Er scheint nicht einmal besonders verzweifelt zu sein. Serviert auch keinen Trost, indem er beispielsweise behaupten würde, es gehe doch in der einen oder anderen Weise weiter. Angele gibt den Flaneur, der sich erinnert und fragt: Wie war das denn damals, als es noch passionierte Zeitungsleser gab und ich selber einer war?

Mit Thomas Bernhards Zeitungsbesessenheit beginnt das Buch. Als Bernhard noch dreihundert Kilometer quer durch Österreich fuhr, um eine NZZ vom Tag zu ergattern. Und es endet mit Theaterintendant Claus Peymann, der Bernhard erinnern soll, aber lieber von sich selber redet. Wie er immer noch morgens sechs Zeitungen verschlinge. Und sich ärgere über den verehrten und verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der das Feuilleton zum Nabel der Debatten machte und dabei die Kulturberichterstattung abschaffte.

Dazwischen schildert Angele Begegnungen, Gespräche, Beobachtungen und Erinnerungen. Porträtiert seinen Lieblingszeitungsleser, der seinerseits ein Zeitungsliebender ist. Kontaktiert den Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz, zitiert Harald Schmidt und Peter Handke. Wünscht sich von diesem den Prosaband «Versuch über die Zeitung» und schreibt den Band schliesslich selber.

Es ist ein schöner, melancholischer, anregender Rundgang, auf den uns Angele hier mitnimmt, mehr Essay als Erzählung. Noch einmal erscheint er uns in seiner ganzen Pracht: Der Zeitungsleser zwischen Feuilleton und Vermischtem. So soll er uns in Erinnerung bleiben.

 

Michael Angele, Der letzte Zeitungsleser, Galiani-Berlin, 2016