Requiem auf ein Gesellschaftsspiel

von Gerhard Meister 26. März 2015

In einigen von Peter Bichsels Kolumnen, so lese ich in einem Zeitungsartikel zu seinem achtzigsten Geburtstag, gehe es um die uns allen bekannte Situation, dass in einer geselligen Runde jemand etwas behauptet und jemand anderes das Gegenteil davon.

Schon hat ein wunderschönes Gesellschaftsspiel seinen Anfang genommen und man ist bald mittendrin in einer mit viel Debattier- und Redelust geladenen Situation, in der jeder behaupten und argumentieren kann, wie er will.

Als Beispiel erwähnt Bichsel die beiden Schweizer Radsportlegenden Kübler und Koblet, zwei ganz unterschiedliche Sportlertypen aus den 50er Jahren, die aber sehr ähnlich heissen und von dorther leicht verwechselt werden können, auch wenn der eine von beiden schon lange tot ist und der andere noch immer lebt:

Nein, der Kübler ist schon lange tot.

Aber der Koblet hat die Tour de France gewonnen.

Aber der Kübler hat die Tour de France auch gewonnen.

Nein, das stimmt jetzt ganz sicher nicht.

Natürlich stimmt das.

Nein, Kübler hat die WM gewonnen.

Aber die Tour de France eben auch.

Ach ja?

Aber der Koblet war doch mit dieser Miss Schweiz verheiratet.

Und so weiter und so fort.

Wie wir alle wissen und was Bichsel mehrmals eine Kolumne wert ist: Solche Diskussionen gehören endgültig der Vergangenheit an. Heute zückt jemand sein Handy und aller Eifer und alle selige Verstiegenheit in ein haltloses Behaupten hinauf sackt sofort zusammen: Das Handy weiss alles: nicht nur, welcher der beiden noch lebt, sondern auch wann der andere gestorben ist. Auf den Tag genau. Das gleiche mit den Toursiegen. Das sind die Fakten und der Rest ist Schweigen.

Natürlich wird man noch das eine oder andere Mal das Spiel anfangen, vor allem, wenn man die Zeiten noch erlebt hat, als es dieses allwissende Handy noch nicht gab und seine Anwesenheit deshalb vergisst:

Aber nein, Coppola hat doch diesen Film mit Gene Hackmann gedreht.  Diesen Film mit dieser Szene im Klo eines Hotelzimmers, das beim Spülen rot überläuft und damit beweist, dass sich in diesem Zimmer ein Mord ereignet hat.

Du meinst Scorsese.

Nein, ich meine Coppola.

Also den Paten.

Nein, nicht den Paten.

Der ist mit Brando, nicht mit Hackmann.

Aber den mein ich nicht.

Du sagtest doch Hackmann.

Ich mein nicht den Paten.

Der Pate ist mit Pacino.

Und jetzt kommt es einem in den Sinn, dass man dieses Gerät dabei hat, das zu jedem Film, den man jemals im Kino gesehen hat, den Regisseur weiss und alle Schauspieler und die Anzahl Oscars oder wenigstens Nominierungen, und dabei wollte man doch gar nicht wissen, ob Coppola oder Scorsese der Regisseur dieses einen Films war, sondern hat sich nur darüber streiten wollen, was natürlich witzlos ist, sobald einer in der Runde sitzt, der alles weiss.

Also lässt man es sein.

Aber den Spielverderber auch noch zum Schiedsrichter machen und also auf dem Handy nachschauen, welcher von den beiden Regisseuren es nun wirklich war, der diesen Film mit Hackmann gedreht hat, dessen Titel noch immer keinem in den Sinn gekommen ist, das macht man dann auch nicht mehr.

Irgendwo hat man auch gegenüber einer Maschine seinen Stolz.