Schafseckle

von Gerhard Meister 21. August 2014

Der Speisewagen schwankt bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof bedrohlich, der Kellner muss sich festhalten und ein paar Tische entfernt  höre ich jemanden sagen, wie dieser Zug jetzt «umerangget».

Ja, der Mann spricht noch richtig Berndeutsch mit tadellos deklinierten Zahlwörtern: «Dört si zwe Schwän, lue.» Dies zu seiner Frau, die ihm gegenübersitzt und normallaut redet, das heisst so, dass aus meiner Distanz nur aus seinen übernormal lauten Antworten erkennbar wird, dass sie geredet hat: «Was wosch de, wosch spare? Auso, wes de für das nümm längt.»

Wer berndeutsch redet wie dieser Mann, ist nicht zwanzig: «Jä, dä Gärber Urs, isch däich jetz ou pensioniert, er isch zäh Jahr jünger.» Oder, als Kommentar zum Kondukteur, der die Billette kontrolliert: «Vier Täschli hei sie aghänkt, meh weder mir im Dienscht vor 50 Jahr.»

«Das het hüt i dene Brauereie o Schafseckle.»

 

Der Ausdruck ist kernig, er sagt: «bi däm huere Schisswätter», er sagt: «i muess im Garte das huere Züg no verrume, die Schissnessle, das abghounige Züg», er sagt: «das het hüt i dene Brauereie o Schafseckle».

«Ja, das Bally-Imperium, das isch o ds Loch ab.» Das sagt er, als der Zug an Schönenwerd vorbeifährt, dem Ort, an dem dieses Imperium gegründet wurde. Er kennt sich in der Wirtschaft aus und hat seine Meinung über die heutigen Chefs: «Es het viune Orte Schefe ohni Dampf, nid wie früecher dEigetümer, die hei gluegt.» Dann redet er von einem «tschäggete Cheib, wie ne Chäuerschnägg» und ist wahrscheinlich noch immer bei den Chefs von heute.

«Das ghört sech hüt, Pariser, Pfefferspray u Lippeschtift.»

 

Ein Mann Mitte siebzig, mit brutal geerdeter Ausdrucksweise, die etwas an Dürrenmatt erinnert, sitzt im Speisewagen seiner Frau gegenüber, redet, nimmt einen Schluck aus der Halbliter-Dose Bier, schweigt, redet dann wieder: «Das ghört sech hüt, Pariser, Pfefferspray u Lippeschtift.» Dann ein Spruch, in dem das Wort «Ungerhösli» sich auf ein Wort reimt, das ich nicht verstehe.

Dann höre ich «Wiibervouch» und «Füdle breit wie ne Tisch u dr Rock ungerem Buuchnabu», dann, noch immer in diesem Zusammenhang, redet er von «schlitzgöiglete Cheibe», die nicht richtig Deutsch können.

Warum bin ich nicht überrascht, dass es zuweilen auch etwas eklig wird, ihm zuzuhören? Hat es damit zu tun, dass er über siebzig ist, hat es mit diesem Berndeutsch zu tun, das mit seiner Generation verschwinden wird? Aber nehmen denn, um Gottes Willen, aufs Alter die Frauen und Fremde abwertenden Äusserungen zu, oder noch abstruser, steht das in einem Zusammenhang mit einem schönen, blumigen Berndeutsch?

«U bi froh, bini nümm dört, süsch wäri o im Füdlibürger-Kreis.»

 

Der Mann schweigt, dann sagt er wieder etwas, über einen Bekannten oder früheren Arbeitskollegen, er sagt, «das isch jetz dr Edu-Füdlibürger. U bi froh, bini nümm dört, süsch wäri o im Füdlibürger-Kreis.» Etwas später steht er auf und verlässt mit seiner Frau den Speisewagen Richtung Erster Klasse.