Die Tour und die Teilhabe

von Luca Hubschmied 18. Januar 2018

Grösser, breiter und vielfältiger ist sie geworden, ein richtiggehendes «Politfestival» eben. Die Tour de Lorraine, die heute Abend eröffnet wird, nimmt sich in ihrer 18. Ausgabe dem Thema «Teilhabe für alle» an.

Das bewusst offen formulierte Motto soll in den folgenden Tagen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Man sei sich durchaus bewusst, dass der Titel viel Interpretationsspielraum zulasse, erklärt Mitorganisator Rafael Egloff: «Ein Begriff, der das vielleicht genauer auf den Punkt bringt, ist ‚urban citizenship‘» Es gehe darum, auf kommunaler Ebene allen eine vollumfängliche Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Alltag zu ermöglichen. In Zeiten einer breit diskutierten Migrationsfrage steht der Begriff oft stellvertretend für die Teilhabe und Aufenthaltssicherheit aller, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Beispielhaft angeführt werden die Städte Palermo und Toronto, die sich zu einer «città dell‘ accoglienza», beziehungsweise einer «sanctuary city» erklärt haben und den Aufenthaltsstatus ihrer BewohnerInnen aktiv ignorieren oder New York, wo eine City ID auch für Sans-Papiers einen legalen Ausweis darstellt.

«Teilhabe für alle bedeutet auch anzuerkennen, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben», erläutert Rafael, «und dass wir alle das Recht haben sollten, uns in dieser entfalten zu dürfen.» Dabei wolle man sich aber nicht nur auf die Partizipation von MigrantInnen beschränken: «Auf dem Programm stehen etwa auch ein feministischer Workshop, Inhalte zum Thema Transgender oder ein Podium für die Jugend.»

Rebellische Städte

Eröffnet wird das Politfestival heute Abend mit der Auftaktveranstaltung «Wenn Städte zu Rebellinnen werden». Weiter geht es am Freitag mit Filmvorstellungen und einer Theateraufführung in der Reitschule. Der Schwerpunkt des Programms liegt dann auf dem Samstag, wo im Progr unter anderem mehr als 30 Workshops stattfinden und die Beratungsstelle für Sans-Papiers einen alternativen Stadtrundgang über das Leben ohne Aufenthaltsbewilligung anbietet. Den Samstagabend beleben Konzerte und Partys in 15 Lokalen in der ganzen Stadt,  längst beschränkt sich die Tour nicht mehr nur auf ihren Heimathafen, das Lorraine-Quartier.

Dieses Jahr wird die Veranstaltung gleich von drei Organisationen mitgetragen, neben dem Verein Tour de Lorraine ist das die Plattform «Wir alle sind Bern» und das Netzwerk «migrationscharta.ch». Diese Kombination erkläre auch die Vielfältigkeit des Programms, meint Rafael: «Die Plattform Wir alle sind Bern  beschäftigt sich stark mit dem Thema ‚urban citizenship‘, während die Migrationscharta einen theologischen Hintergrund auf die aktuelle Migrationsdebatte wirft.» Seit den frühen Sommermonaten bastelten die freiwilligen OrganisatorInnen am Inhalt der nächsten drei Tage, ohne Bezahlung und unabhängig von Förderung durch staatliche Stellen.

Solidarische Stadt

Die Tour de Lorraine entstand in ihren Anfängen 2001 aus der globalisierungskritischen Anti-WEF Bewegung. Seither fand sie jedes Jahr unter einem anderen Titel statt, zuletzt im Februar 2017 mit dem Motto «Tanzen gegen TiSA, Anders Handeln». Mit den Erlösen aus den verkauften Eintritten werden durchs Jahr durch verschiedene Projekte und Basisorganisationen unterstützt, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Auf die Frage, was er sich nun persönlich von der 18. Tour de Lorraine erhoffe, sagt Rafael: «Dass wir eine Grundlage für Diskussionen bieten können, aus denen sich viele Zusammenarbeiten entwickeln. Und dass möglichst viele Menschen das Manifest für eine solidarische Stadt Bern kennenlernen und unterschreiben.»