Kanton Bern: Labor der SVP-Sozialhilfepolitik?

von Johannes Wartenweiler 21. August 2017

Mit Pierre-Alain Schnegg weht in der Gesundheits- und Fürsorgedirektion nun ein rechter Wind. Während in der Gesundheitspolitik der freie Markt die Sache kompliziert macht, geht der Abbau, der die Ärmsten trifft, zügig voran.

Mag Berns Politik in vielen Fällen behäbig sein – in der Sozialpolitik ist sie es nicht. Seit der Grosse Rat die Motion Studer angenommen hat, die eine 10-prozentige Kürzung bei der Sozialhilfe verlangt, geht es mit Siebenmeilenstiefeln Richtung Abbau. Der langjährige GEF-Direktor der Gesundheits- und Fürsorgedirektion Philippe Perrenoud (SP), der sich der Armutsbekämpfung verschrieben hatte, ist abgetreten und hat einem frommen SVP-Regierungsrat Platz gemacht. Pierre-Alain Schnegg setzt seither SVP-Politik im Sozialbereich um – tatkräftig unterstützt von seinem Generalsekretär Yves Bichsel, der wohl nie in ein Exekutivamt gewählt würde, aber SVP-Politik mit aller Härte betreibt.

Interkantonaler Rammbock

Während man im Gesundheitsbereich von der SVP viel freien Markt und warme Luft erwarten darf, weil dort die Gemengelage und die Kräfteverhältnisse kompliziert sind, langt sie in der Sozialpolitik zu. Für die SVP sind Sozialhilfebezügerinnen weniger arme Menschen, die im Leben Pech haben, sondern «Sozialschmarotzer», die man bekämpfen muss. Ohne diese seit Jahren andauernde Abwertung von SozialhilfebezügerInnen ist die SVP-Politik gar nicht durchzusetzen.

Schnegg will mit seinen Sparmassnahmen weiter gehen als es der Grosse Rat vorgespurt hat. Die Berner Konferenz für Sozialhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz (BKSE) hat im April 2017 sehr schön gezeigt, dass die Sparvorgaben aus der Motion Studer längstens erfüllt sind. Bereits jetzt würden jährlich zwischen 28 und 30 Millionen Franken eingespart.

Schnegg kümmert’s nicht. Er verfolgt das Projekt Kürzung der Sozialhilfe hartnäckig weiter. Es geht nicht nur um die Entlastung des kantonalen Haushalts mit dem Ziel, Spielraum für Steuersenkungen für Unternehmen zu schaffen. Schneggs Projekt ist zudem der Rammbock, mit dem die Berner SVP und ihrem Schlepptau auch die anderen bürgerlichen Parteien, die Sozialhilfe in der Schweiz kürzen wollen.

Denn wenn das Berner Projekt gelingt – und das lässt sich wohl höchstens noch mit einem erfolgreichen links-grünen Referendum verhindern – wird die SVP in anderen Kantonen auf dieses «Vorzeigeprojekt» verweisen und auch dort den Abbau forcieren.

Wer kürzte Schneggs Bibel?

Von der mühsamen Harmonisierung der Sozialhilfe im Rahmen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bleiben dann nur noch Bruchstücke übrig. Diese Entwicklung wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass kein Kanton mit guten Sozialhilfeleistungen glänzen will – es könnte ja eine Migration von  SozialhilfebezügerInnen geben. Deswegen droht auf diesem Schauplatz eine ähnliche Entwicklung wie bei den Steuern: ein Rennen nach unten. Im Unterschied zu den Steuern – wo ganze Kantone auf die Nase fallen können – wie das Beispiel Luzern zeigt –, werden beim Sozialhilfeabbaurennen Menschen mit geringen Chancen in dieser Gesellschaft zusätzlich unter Druck geraten.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit tieferer Sozialhilfe und einem kleinen Anreiz, mehr Leute in den Arbeitsprozess integrieren kann. Erstens fehlt es inzwischen immer mehr an Arbeitsplätzen, für die nur geringe Qualifikationen nötig sind und zweitens ist ein Drittel aller Sozialhilfe beziehenden Personen jünger als 18 Jahre. Sie stärker unter Druck zu setzen bedeutet, ihre Lebenschancen zusätzlich zu belasten.

Unter Christen würde man sagen: Das geht gar nicht. Aber wir haben an der Spitze der GEF einen bekennenden Christen, bei dem wir uns fragen, ob man aus seiner Bibel die Stellen mit der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe herausgestrichen hat.