Burgergemeinde Bern und Stadtentwicklung

von Fredi Lerch 30. Oktober 2014

Wie kann Bern die Stadt entwickeln, wenn mehr als 32 Prozent des Bodens der Burgergemeinde gehören? Journal B sprach mit dem Bernburger, Finanz- und Bauexperten Guido Albisetti.

Zurzeit arbeitet das Stadtplanungsamt an einem neuen Stadtentwicklungskonzept (STEK 15). Wie tut man das als Juniorpartner eines dominierenden Grossgrundbesitzers? Klar ist: 32 Prozent des stadtbernischen Bodens gehören der Burgergemeinde – der Einwohnergemeinde gehören bloss 22 Prozent. «Die Liegenschaftsverwaltung der Burgergemeinde verfügt über ein beeindruckendes Portfolio: Altstadthäuser, Mietobjekte, Grossüberbauungen, über 600 Baurechte, rund 40 Landwirtschafts-Pachtbetriebe, 18 Forsthäuser, über 2000 Mietverträge und die Verwaltung der St. Petersinsel» (so die burgerliche Domänenverwaltung).

«Der Boden ist die ökonomische Basis der Burgergemeinde», sagt Guido Albisetti. Er ist CEO und Verwaltungsratspräsident der von Graffenried Holding AG und Mitglied der Finanzkommission der Burgergemeinde Bern. Er betont, dass er nicht Pressesprecher der Burgergemeinde, weder Mitglied der burgerlichen Feld- und Forstkommission, noch der Domänenverwaltung, noch des Grossen oder Kleinen Burgerrats sei (Parlament und Regierung der Burgergemeinde). Er spreche hier als Mitglied der burgerlichen Finanzkommission.

Die finanziellen Verpflichtungen der Burgergemeinde

Der Boden ist deshalb die ökonomische Basis der Burgergemeinde, weil sie keine Steuerhoheit hat. So bleibt als Haupteinnahmequelle die Nutzung des Bodens. Und Einnahmen braucht sie, weil sie Ausgaben hat:

• Erstens verfügt sie über ein eigenes System sozialer Unterstützung, zu der unter anderem die burgerliche Sozialhilfe zählt. Dazu kommen das burgerliche Jugendwohnheim, die Altersheime im alten «Burgerspittel» am Bahnhof (jetzt: Generationenhaus) und im Viererfeld. In diesem Bereich, insbesondere beim Kindes- und Erwachsenenschutz, sagt Albisetti, «explodierten» die finanziellen Verpflichtungen im Verlauf der letzten Jahre.

• Zweitens engagiert sich die Burgergemeinde in vielen Bereichen der städtischen Kultur, zum Beispiel richtet sie jährlich den Kulturpreis der Burgergemeinde in der Höhe von 100’000 Franken aus. Insbesondere aber betreibt sie das Naturhistorische Museum und das Kulturcasino und trägt das Historische Museum zu einem Drittel. Letzteres bezeichnet Albisetti als nie renovierte «Villa Durchzug», die nächstens saniert werden müsse. 

Wie die Burgergemeinde Geld verdient

Um diese Verpflichtungen zu decken, betreibt die Burgergemeinde eine langfristig konzipierte Bodenpolitik, die davon ausgeht, dass Land kein vermehrbares Gut ist. Solange ein Grundstück nicht überbaut ist, ist es in ihren Büchern bloss «mit einem Erinnerungsfranken» vermerkt. Erst wenn es nach einer erfolgreichen Planungsphase «in Wert gesetzt» wird, wird es als burgerliches Vermögen verbucht.

Der Boden wird grundsätzlich nicht verkauft, sondern zur Nutzung im Baurecht über eine bestimmte Frist abgegeben (zwischen 30 und 99 Jahren). Die Höhe des Baurechtszinses lässt man sich nicht durch den Markt diktieren, sondern setzt ihn als politisches Steuerungsinstrument ein. Die eben eingeweihte Sporthalle Weissenstein zum Beispiel profitiert aus politischen Gründen von einem günstigen Zins; auf dem Schönberg Ost-Areal, auf dem zurzeit die Baufelder von privaten Investoren überbaut werden, ist der Zins hingegen «verhältnismässig hoch» angesetzt. Daneben baut die Burgergemeinde selten auch selber, zuletzt eine Wohnblocksiedlung am Mettlengässli in Muri.

Läuft ein Baurechtsvertrag aus, wird er entweder verlängert oder es kommt zum «Heimfall», das heisst: Das Gebäude geht – unter Kostenfolge – an die Burgergemeinde zurück (was selten, aber zum Beispiel bei schwierig zu nutzenden Industriegebäuden vorkomme).

Diese Bodenpolitik, sagt Albisetti, erlaube es vorderhand, die zunehmenden Kosten im Sozial- und im Kulturbereich zu tragen, ohne unter Verwertungsdruck den Boden übereilt zum Bau freigeben zu müssen.

Das Verhältnis zur Einwohnergemeinde

Es wäre falsch zu sagen, die Burgergemeinde sei der grösste der privaten Grundbesitzer der Stadt (die zusammen 36 Prozent des Bodens kontrollieren). Die Burgergemeinde ist eine «Personalgemeinde», von der rund 10’000 der 17’700 Mitglieder in Stadt und Agglomeration Bern wohnen. Diese Gemeinde verfügt über Regierung und Parlament und führt burgerliche Volksabstimmungen durch. Sie hat so gesehen den Charakter einer «Gemeinde in der Gemeinde», die mit bodenpolitischen Massnahmen ihre Einnahmen generiert.

Demokratisch kontrolliert wird sie im Bereich der grossen Bauprojekte von der Einwohnergemeinde über die städtischen Volksabstimmungen, die für Zonenplanänderungen und Überbauungsordnungen nötig sind. Ansonsten scheinen Stadtplanung und Stadtentwicklung auf burgerlichem Grund das Resultat von informellen Absprachen zu sein. «Die Partnerschaft mit der Stadt ist eng», sagt Albisetti. «Es ist auf beiden Seiten klar, dass es viele grössere und kleinere Abhängigkeiten gibt.» Man sehe sich regelmässig, es gebe sowohl Treffen der Gesamtregierungen als auch «Punkt-zu-Punkt-Treffen» bei Planungsprozessen. Jeder für sich allein könne nicht agieren: «Es braucht die Stadt, die Burgergemeinde, die Investoren und den Markt. Erst wenn alles zusammenspielt, kann man in Bern in grösseren Dimensionen bauen.»

Enteignung gegen Baulandhortung?

Nicht bekannt ist Albisetti, dass die Stadt bisher mit stadtplanerischen Forderungen Druck auszuüben versucht hätte. «Den In-Wert-Setzungsprozess von Boden habe ich bisher stets als selbstbestimmten Akt der Burgergemeinde erlebt», sagt er.

Im Zusammenhang mit der Revision des kantonalen Raumplanungsgesetzes wird zurzeit aber die Enteignung als Massnahme gegen Baulandhortung diskutiert. Albisetti: «Dass die Burgergemeinde über das kantonale Baugesetz gezwungen werden könnte, Landreserven zur Überbauung frei zu geben, wäre nicht die Art, wie Stadt und Kanton bisher mit der Burgergemeinde umgegangen sind. Man war immer darauf bedacht, die Fragen im Konsens zu lösen.» Und was die innere Verdichtung auf bereits bebautem Boden – das erklärte Ziel dieser Massnahme – betrifft, sagt er: «Die Burgergemeinde übernimmt jene Ausnutzungsziffern, die die Politik vorgibt. Schauen Sie sich Schönberg Ost an: So nahe nebeneinander sieht man selten Häuser stehen.» 

Soll die Stadt entwickelt werden, kommt noch etwas dazu: Neben der Stadt, der Burgergemeinde und den Privaten besitzen auch Bund, Kanton, die SBB und Exterritoriale (Botschaften) städtischen Boden. Wie soll ein solcher Flickenteppich stadtplanerisch gedacht werden? Albisettis Antwort ist klar: «Zwar hat die Burgergemeinde wegen des grossen Landbesitzes, der ihr 1852 mit dem Ausscheidungsvertrag zugewiesen worden ist, auch eine grosse Verantwortung. Aber der Lead liegt bei der Stadt. Wenn sie ein Stadtentwicklungskonzept macht, dann wird sich die Burgergemeinde dort voraussichtlich einbinden lassen.»