Viererfeld und Mittelfeld: Jetzt mitdenken!

von Fredi Lerch 29. November 2013

Die Stadt Bern plant eine Grossüberbauung: über 1000 Wohnungen für mindestens 3000 Personen. Seit einigen Tagen läuft die Mitwirkung. Es gibt Gegenargumente: vernünftige und weniger vernünftige. Eine Übersicht.

Am 18. November haben Stadtpräsident Alexander Tschäppät und Stadtplaner Mark Werren mit einer Medienkonferenz das Mitwirkungsverfahren der Planung Viererfeld/Mittelfeld eröffnet. Schon kurz darauf war klar: Es gibt viel Kritik. Auch schwache und voreilige.

Das Projekt «Stadt am Wald»

Worum geht es? Das Viererfeld und das kleinere Mittelfeld bilden zwischen Äusserer Enge und Länggasse ein Areal von gut 190000 Quadratmetern. Gut erschlossen, stattnah, umgeben von Quartieren, Wald, Autobahn und Aareschlaufe: eine attraktive Wohnlage. Dieses Areal zu überbauen ist vernünftig.

Das erste Überbauungsprojekt – «Viererfeld zum Wohnen» – ist am 16. Mai 2004 mit 51,7 Prozent der Stimmen abgelehnt worden. Die Stadt Bern will nun, zehn Jahre später, das neue Projekt «Stadt am Wald» realisieren: Auf gut 100000 Quadratmetern sollen rund 1100 Wohnungen für mindestens 3000 Leute entstehen, im Mittelfeld drei Hochhäuser (optional: zwei Hochhäuser und das geplante Hallenbad), im Viererfeld entlang der Engestrasse sechsstöckige Wohnhäuser in zwei Reihen. Gegen die Länggasse hin soll knapp die Hälfte des Areals als Parklandschaft gestaltet werden, die vom bestehenden Sportplatz und Familiengärten inselartig durchsetzt ist. (Pläne und weitere Mitwirkungsunterlagen finden sich hier).

Journal B hat am 29. Oktober vor dem Hintergrund, dass der Druck auf Stadt und Region Bern wächst, mehr strategische Stadtplanung gefordert. Die Planung für Viererfeld und Mittelfeld ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist ja zweifellos sinnvoll, «innerhalb von bestehender Infrastruktur zu verdichten», wie Tschäppät an der Medienorientierung gesagt hat.

Stammtisch und Holzhammer

Die erste Linie der Gegenargumente besteht aus einer Reihe von Stammtisch-Behauptungen, die zum Beispiel so klingen: Der Grund für die zeitlich ehrgeizige Planung – der Gemeinderat will bereits in einem Jahr über das Projekt abstimmen lassen – liege darin, dass sich der Stapi in seiner letzten Amtszeit ein Denkmal setzen wolle. Darum behaupte er auch (in der «Berner Zeitung»), die Opposition sei nicht mehr so fundamental wie 2004 – was man dann noch sehen werde. Zudem sei diese Planung sowieso nur eine grobe Skizze und man wisse ja, dass es später gewöhnlich ganz anders komme. – Und so weiter.

In der zweiten Linie stehen die dogmatischen Totschlägerargumente:

• Luzius Theiler (GBP-DA) will die Übung sofort abbrechen. Die Länggasse sei schon dicht überbaut, und es sei nicht sinnvoll, «die ungenutzten Ausgleichflächen und grünen Wiesen einfach zuzubetonieren». Theilers Aussage kontrastiert mit der diese Woche veröffentlichten städtischen Strukturerhebung zu den Pendlerströmen, wonach 2010 täglich 109000 Personen in die Stadt gependelt sind und das im Vergleich zu 2000 einer Zunahme von 16 Prozent entspricht. Der Druck auf die Stadt wächst also weiter. Theiler verteidigt 19 Hektaren Stadtboden um den Preis von absehbar grösseren Pendlerströmen und grösserer Zersiedelung vor der Stadt draussen. Nota bene 19 Hektaren – was knapp der Fläche eines durchschnittlichen landwirtschaftlichen Betriebs entspricht –, von denen knapp die Hälfte als neu begehbare grüne Lunge gestaltet werden soll.

• Umgekehrt dräut für den Chef der stadträtlichen FDP-Fraktion, Bernhard Eicher, und seinen Kollegen der SVP, Roland Jakob, im Bereich des «Mobilitätskonzepts» der blanke Sozialismus: Unverständlich seien die «ideologischen Auflagen» der vorgesehenen, autoarmen Planung. Würde es die Mühe lohnen, könnte man den beiden Herren erklären, dass das, wovor sie sich fürchten, nicht mit 0,5 Parkplätzen pro Wohnung (im Viererfeld) respektive 0,3 (im Mittelfeld) beginnt, sondern mit der Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel. Zehn Fussminuten vom Loeb-Egge bloss 1008 Parkplätze einzuplanen ist schlicht und ergreifend mehr als genug.

Hier muss nachgebessert werden

Die dritte Linie der Gegenargumente betrifft Knackpunkte, an denen in der Mitwirkung weitergedacht und nachgebessert werden muss:

• Stéphanie Penher (GB) kritisiert, bei der Planung sei das «Innovationspotential  nicht ausgeschöpft» und «die Anforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft nicht erfüllt». Sinnvoll wäre, wenn Mitwirkung dazu dienen würde, der Planung im Sinn eines Leuchtturmprojekts noch einige helle Birnen einzuschrauben.

• Auf dem überbauten Areal wird mit einem durchschnittlichen Werktagsverkehr von rund 4000 Fahrten gerechnet. Was bedeutet das für die Überbauung selbst und was für die angrenzenden Quartiere?

• Tschäppät sagt, auf dem Areal seien wohl kleinere Läden, nicht aber ein grosses Einkaufszentrum vorgesehen. Wo kaufen die 3000 Leute ein? Im Länggass-Migros? in der Altstadt? im Shoppyland?

• Stichwort gemeinnütziger Wohnungsbau: Vorgesehen ist dafür ein Drittel der Viererfeld-Überbauung (gut 300 Wohnungen). Beim Mittelfeld wird – weil dieses Areal bereits der Stadt gehört – der Gemeinderat entscheiden. Am 19. September haben GB und JA! in einer interfraktionellen Motion einen Anteil an gemeinnützigen Wohnungen von «mindestens 50 Prozent der Fläche» gefordert. Um auf diese Zahl zu kommen, müsste der Gemeinderat zusätzlich das ganze Mittelfeld für gemeinnützigen Wohnungsbau reservieren.

Die Mitwirkungsfrist läuft noch bis zum 16. Dezember. Wer später kritisiert, wird das glaubwürdiger tun, wenn er jetzt mitdenkt.