Schnee und Winter und schwierige Fragen

von Christoph Reichenau 28. November 2020

«Kultur» ist in diesen Wochen geschlossen in Bern. Doch nicht jede. Die Kunstgalerien bieten auch im Lockdown Erlebnisse, die nachwirken. Etwa die Ausstellung Winterland.

Kunstausstellungen jetzt in Bern? Die gibt es. Nicht in Museen freilich, wohl aber in Kunstgalerien. Die sind offen, natürlich mit begrenzten Besucherzahlen und Schutzkonzept. Über die Stadt verteilt gibt es ein Dutzend Inseln, auf denen Kunstwerke betrachtet werden können. Die kleine Freiheit, die dadurch offensteht, darf man geniessen. 

Ein offener Ort ist die Galerie Beatrice Brunner. Die aktuelle Ausstellung dort trägt den Titel «Winterland». In zwei Räumen kann man Lichtzeichnungen (Judith Albert), Fotografien auf verschiedenen Trägern (Esther van der Bie, Alexander Jacquement, Adela Picon), Videos und Videoinstallationen (Judith Albert, Ursula Palla), Fotoemulsionen (Baum/Jakob), Zeichnungen mit Bleistiftstaub, Objekte aus Alabaster, eine Kleinplastik aus zerknautschtem Papier (Béatrice Gysin) sehen. Schnee, Eis, Kälte, Weiss, Schmelzen, Zuschneien, Kristallines, Tauen, apere Stellen im schwindenden Schneeüberzug, mit dunklen Partikeln durchsetzte Schneeflächen. Viele Aggregatszustände, viele Farben, viele Stadien von Schnee – von frisch fallenden Flocken bis zur löchrig gewordenen, ausfransenden Decke im Frühling – zeigen «das Weiss» in Vielfalt und Fülle. Béatrice Gysin schreibt: «Die Arbeiten umkreisen das Warten auf Schnee, die Sehnsucht nach dem Weiss, das wie ein leeres Blatt einen Neuanfang verspricht, und gleichzeitig um die Sorge, dass dieses Weiss verloren geht.»

Abgebildet sind auch verzweifelte Versuche, mit riesigen Stoffplanen, die in der Natur winzig wirken, Gletscher abzudecken, um ihr Wegschmelzen zu verlangsamen (Baum/Jakob); sie bilden mit ihren Rissen und Falten Kunstgebilde eigener Art.

Jedes Werk hat seine eigene Bedeutung, ist entstanden aus individueller Auseinandersetzung mit dem Thema, dem Material, der eigenen Haltung zur Natur. Jedes zeigt Neues, Überraschendes im Kleinen, im Grossen, öffnet Einblicke und stellt uns vor schwierige Fragen. Als bewusst zusammengestellte Gesamtheit lenkt die Ausstellung uns Betrachtende auch zu politischen Überlegungen: Wie gehen wir um mit der Natur, die uns Menschen nicht braucht, aber von der wir abhängen.

Zwei Räume am Nydeggstalden bieten Platz für Kunstwerke, vor denen man lange verweilt und die in einem weiterwirken, wenn die Türe längst geschlossen ist. Kunst ist auch in dieser Zeit zu entdecken in Bern.