Der Friedhof als poetischer Kunst-Ort

von Duscha Padrutt 6. Oktober 2019

«SAVOIR MOURIR» steht noch bis zum 24. November auf dem Schosshaldenfriedhof Bern. Es ist eines der 26 Wortbilder aus Holz, die der Künstler Matthias Zurbrügg auf dem Schosshaldenfriedhof «inszeniert» hat – entstanden ist eine Art Gesamtkunstwerk.  

«Und nun lassen Sie die Zeit los! Geniessen Sie Worte die liegen, schwimmen oder stehen, Wegweiser die drehen, Gedanken, die kommen und gehen, hier, am Ort der letzten Ruhe», begrüsst der «Schrift-Steller» und Schauspieler Matthias Zurbrügg das Publikum beim Brunnen, in welchem das Wort «ROSE» schwimmt. Der szenische Rundgang startet mit der schlichten und befreienden Feststellung: «Eine Rose ist eine Rose. Ein Baum ist ein Baum. Ein Stein ist ein Stein. Wasser ist Wasser. Ein Weg ist ein Weg.»

Der als Rundweg gestaltete Spaziergang führt an kleinen und grossen aus Holz gebauten Wörtern entlang durch den Schosshaldenfriedhof und lädt dazu ein, über die Zeit, das Leben, die Welt und die Endlichkeit nachzudenken. Die Wort-Ausstellung ist auch mithilfe einer beim Friedhofsblumenladen erhältlichen «Wegleitung» mit Karte selbständig zu erkunden. Diese Wegleitung allein ist bereits ein kleines Kunstwerk, das verschiedene Wort-Text-Bild Kombinationen beim Blättern ermöglicht.

Für Philippe Marti, den neuen Friedhofszuständigen der Stadt Bern, ist die Ausstellung von Matthias Zurbrügg ein Glücksfall:

«Friedhöfe sind für eine Stadt wichtige Orte. Hier können Angehörige zur Ruhe kommen und Abschied nehmen. Die Grab- und Bestattungsformen reflektieren die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen. Immer mehr Verstorbene finden im Gemeinschaftsgrab und in Urnenthemengräbern ihre letzte Ruhe. Gleichzeitig hat die Anzahl der Erdbestattungen abgenommen. Für die oftmals über hundert Jahre alten Friedhöfe kommen heute zahlreiche weitere Aufgaben hinzu, wie die Naherholung sowie die Förderung der Biodiversität und der ökologischen Vernetzung. Der Wandel der Jahreszeiten ist in den parkähnlichen Anlagen besonders schön zu erleben und gemahnt an das Werden und Vergehen sowie den Rhythmus der Natur. Dazu passen Kunstprojekte, welche diese Qualitäten vertiefen und mit dem besonderen städtischen Raum sensibel umgehen.»

Auch Zurbrüggs Wortinszenierungen erhalten erst durch die Friedhofslandschaft ihre einmalige, nicht austauschbare Bedeutung. Je nach Tages- und Jahreszeit erscheinen sie in verschiedenen Stimmungen und anderem Licht. Sie erinnern an ein anderes Sprach- und Seinsverständnis, jenseits von digitalen Codes und Geschwindigkeitsrausch. Und sie halten den Tod und damit das Wunder des Lebens im Auge. In Zeiten des Klimawandels vielleicht etwas vom Wichtigsten überhaupt.