Das Flaggschiff und die Flotte

von Christoph Reichenau 4. September 2019

Noch drängen sich die Handwerkerautos ums Gebäude. Am Donnerstag geht es los. Das Casino erstrahlt in frischem Glanz. Ganz wie früher, doch mit neuem Anspruch auf eigene Veranstaltungen. Hoffentlich profitiert die Berner Kultur insgesamt davon.

Nun hängt in der Stadt das Plakat – eine fein stilisierte Umrisszeichnung der Fassade in rot, gelb, türkis. Nach einer gefühlten Ewigkeit von gut zwei Jahren öffnet das für 78 Millionen Franken nah am Original renovierte Casino an der Herrengasse seine Türen wieder. 1909 war das der Burgergemeinde Bern gehörende Haus erstmals in Betrieb genommen worden. Jetzt lautet das Motto «Zurück in die Zukunft».

Die Zukunft ist, nach der Innenarchitektur und der Möblierung zu schliessen, golden und glänzend. Auf den Fotos der Website sind junge, schöne, glückliche Menschen in gediegenem Ambiente zu sehen. «Salon d’Or» heisst denn auch eines der fünf Restaurants.

Die ganz unterschiedlichen Restaurants, jedes auf seine Weise, bilden das eine Element des ehrwürdigen Gesellschaftshauses. Das andere Element sind kulturelle Veranstaltungen. Dazu gehören traditionell die Konzerte des Berner Symphonieorchesters. Dieses ist gerade dabei, sich mit der Akustik des Saals vertraut zu machen, den Saal klanglich in Besitz zu nehmen. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten ist deutlich gestiegen, der Rückgang aus der «heimatlosen» Zeit des «wandernden BSO» mehr als wettgemacht.

Hinzu kommen neu Kulturanlässe, die das Casino selber organisiert. Die Palette ist breit: Comedy, Akrobatik, Satire, Kabarett (etwa mit Hazel Brugger und Victor Giaccobo); sie ähnelt der Linie des Casinotheaters Winterthur. Natürlich gibt es auch weitere Konzerte. Im nächsten Jahr wird zudem eine Reihe grosser Reden beginnen, unter anderem mit dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Unter der Gesamtleitung des Spitzenkochs Ivo Adam tritt in Bern ein neuer Kulturveranstalter an mit räumlichen Möglichkeiten, die vom intimen Kabinett bis zum grossen Saal mit 1‘300 Plätzen reichen und in vielfältiger Weise kulinarisch ergänzt werden können. Das ist eine grosse Herausforderung für Adams Team.

Eine Herausforderung bedeutet das neue Casino auch für die Berner Kulturwelt. Bezogen auf das Programm betrifft dies etwa den Kleinkunstort La Cappella im Breitenrain. Spüren werden die Präsenz des Casinos auch Restaurants und Bars um den Casinoplatz. Es ist ja nicht so, dass das an Kultur interessierte Publikum entsprechend der Steigerung des Angebots beliebig wächst. Es wird Verlagerungen geben, zu Gunsten oder zu Lasten bestehender Kulturorte. Im besten Fall steigert ein neuer Magnet mit starker Anziehung das Interesse an den Veranstaltungsorten rundum.

Der Zustrom zum eben durchgeführten Reportagefestival zeigt die Offenheit einer breiten Bevölkerung für Neues, auch in kleineren Rahmen. Es ist dem Casino und seinen kleineren Gespänlein zu wünschen, dass das neu aufgetakelte Flaggschiff die ganze Flotte stärkt und der gesamten Kultur in allen Formen und Farben zu Gute kommt. Das wäre eine gute Zukunft. In die wünschen wir uns gerne zurück.

Der funkelnde Eröffnungsmarathon beginnt am 5. September mit dem Sonderkonzert des BSO (Bachs «Brandenburgisches», Strauss «Till Eulenspiegel»).  Daran beteiligt sind der Pianist Fazil Say und Igudesman & Joo (Comedy mit klassischer Musik und Pop).  Am Tag darauf tritt Stephan Eicher auf. Im Anschluss an die Konzerte des 5. und 6. September treffen sich die beteiligten Musikerinnen und Musiker zu einer Jamsession, die gratis besucht werden kann. – Am 7. und 8. September findet das erste Abo-Konzert des BSO statt mit Martin Grubinger, einem Virtuosen für Schlaginstrumente.