Der Zauber des Anfangs (Teil 1)

von Christoph Reichenau 26. August 2019

Es war auf Zeit und wurde deshalb möglich. Der damalige Kultursekretär erzählt die Geschichte der Umwandlung des Progers in den PROGR. – Erster Teil.

Wir hatten eine Chance und nutzten sie. Anfang 2004 war klar: Im Sommer würden die Wirtschaftsmittelschule und die Berufsschule für Verwaltung aus dem Gebäude des ehemaligen Progymnasiums an der Ecke Speichergasse/Waisenhausplatz in das neue Wankdorfstadium umziehen. Im Sommer 2006 begänne der Umbau des Progers zur Abteilung Gegenwartskunst des Kunstmuseums Bern, das direkt gegenüber auf der anderen Seite der Hodlerstrasse liegt. Es öffnete sich also ein Zeitfenster von zwei Jahren – warum dieses nicht kulturell nutzen?

Kulturell nutzen? Unser Ziel war es, die Produktionsbedingungen für Kunst in Bern weiter zu verbessern, die Vermittlung zu stärken und die Vernetzung in der Berner Kulturszene zu intensivieren. In der Abteilung Kulturelles der Stadt Bern packten wir deshalb parallel zwei Vorhaben an:

– Wir handelten mit dem Kunstmuseum die Rahmenbedingungen der Abteilung Gegenwartskunst aus (Konzept, Raumbedarf, Sanierungs- und Umbaukosten, Betriebsaufwand, Baurechtsvertrag, Finanzierung).

– Und wir «erfanden» die Zwischennutzung des Progers als Zentrum für Kulturproduktion.

 Den Auftrag zur Zwischennutzung des Progers gab sich die Abteilung Kulturelles selbst. Es kam keine Forderung der Kulturszene, es bestand keine Erwartung der politischen Behörden. Plötzlich öffnete sich eine Möglichkeit – und wir konnten sie erkennen oder nicht. Das Langfristige ermöglichte das Kurzfristige – und bedingte es, denn dadurch wurde die Zeit bis zum geplanten Baubeginn sinnvoll überbrückt. 

Das duale Vorgehen leuchtete ein. Die städtische Liegenschaftsverwaltung, zu deren Portfolio der Proger gehörte, zog mit: Auf diese Weise konnte Leerstand und damit die Gefahr von Besetzung und Vandalismus verhindert werden, ohne in ein seit langem vernachlässigtes Gebäude unter Denkmalschutz zu investieren. Die Liegenschaftsverwaltung konnte sogar auf eine bescheidene Rendite zählen. Zudem hatte sie in der Kulturabteilung eine in Raumfragen erfahrene Vertragspartnerin aus der Stadtverwaltung. Stadtpräsident Klaus Baumgartner stärkte der Verwaltung den Rücken.

Im März 2004 genehmigte der Gemeinderat das Konzept: Die Hälfte der rund 7’300 m2 Nutzfläche wird möglichst ertragreich gewerblich vermietet, die andere Hälfte einschliesslich Aula und Turnhalle wird kulturell genutzt. Das hiess: günstige Ateliers zur Verfügung stellen und grössere Räume für Ausstellungen und Anlässe verwenden. Da die aus Vermietung erzielbaren Einnahmen voraussichtlich den Betriebsaufwand der Hausverwaltung sowie des Kulturbetriebs nicht decken konnten, sprach der Gemeinderat für zwei Jahre einen Betriebskredit von insgesamt 700’000 Franken.

Es folgte die berauschende Hektik des Aufbruchs. Wir arbeiteten am Konzept, bildeten das Betriebsteam (mit Beate Engel, Katrien Reist-van Gelder und Eva Winkler), übernahmen die Räume, regelten mit der Liegenschaftsverwaltung das Mietverhältnis, schrieben Ateliers für Kulturschaffende aus, entwickelten mit Après-Soleil für die Turnhalle die Idee für eine Bar mit Veranstaltungsort, begleiteten Umbauten, definierten Kriterien und Tarife für die Vermietung von Räumen wie der Aula an Dritte und stellten ein erstes eigenes Veranstaltungsprogramm auf. Die Verwaltung gestaltete. Und weil für zwei Jahre jede andere Organisationsform zu aufwendig geworden wäre, übernahm sie gleich auch die Betriebsführung.

Hier geht es zum zweiten Teil.