Bringt Euch ein!

von Christoph Reichenau 18. Mai 2019

Was ist Gegenwartskunst? Brauchen wir dafür in Bern eine Erweiterung des Kunstmuseums? Und welche Erwartungen werden daran geknüpft? Das erste Podiumsgespräch zeitigte überraschende Einsichten und Meinungen. Das zweite ist am 22. Mai um 18 Uhr.

Nach gut einer Stunde kam das Publikum zu Wort. Was ist ihm wichtig bei der Erweiterung des Kunstmuseums für Gegenwartskunst? Offenheit, sagt einer, Übersichtlichkeit des Baus. Bezug zur Natur wünscht eine andere. Öffnung zur Aare hin. Räume, in denen man spartenübergreifend arbeiten kann. Eine Mischung von Inhalten und Aktivitätsformen wird vorgeschlagen. Es soll ein Ort werden, der die Menschen einlädt, wo man willkommen ist und gern hingeht. Ein Stichwort heisst Gemütlichkeit. Und öfter geht es um neue, längere Öffnungszeiten – und um günstigere Eintrittspreise.

Gegenwartskunst in Bern

Zuvor hatten sich Fachleute (Kunsthalle-Leiterin Valérie Knoll, Künstlerin Sabina Lang, Pro Helvetia-Direktor Philipp Bischof und Peter Bläuer, Gründer der LISTE Art Fair Basel) bemüht, «Gegenwartskunst» zu definieren. Sie helfe, meinte Peter Bläuer, uns mit unserer Zeit auseinanderzusetzen, wie dies auf ihre eigene Weise auch die Wissenschaft mache, die Medien, andere Künste. Interessant, dass das Konzept, mit dem das Kunstmuseum (KMB) sowie die Stiftung Kunsthalle vor zwanzig Jahren gestartet sind, unerwähnt blieb. Es hiess «Wanderndes Zeitfenster». Danach war Gegenwartskunst die Kunst der jeweils letzten 25 Jahre, eine zumindest zeitliche Eingrenzung.

Was braucht Gegenwartskunst in Bern? Ein eindeutiges Statement für ein neues Museum blieb aus. Man redete über die Bedeutung von Events, von Vernissagen, von der Museumsnacht, von Museen als Orten, wo man Werke immer wieder besuchen könne (Sabina Lang). Ein neues Museum? Vielleicht – so Bischof –, weil man darin Neues bieten könne, dem Publikum, der Gesellschaft, um die es letztlich immer gehe. Dabei müsse man sich gut überlegen, was mit den verfügbaren Mitteln möglich ist. Für Valérie Knoll stehen dabei die Sammlungen von Gegenwartskunst im Zentrum, auch jene der assoziierten Stiftungen, die bewahrt, gezeigt, vermittelt werden sollen, aufgrund wissenschaftlicher Arbeit.

Inhalt vor Hülle

In welchem Verhältnis steht die Erweiterung des KMB zur Kunsthalle? Valérie Knoll erwartet vom KMB Distinktion, ausgehend von den Sammlungen. Grundsätzlich tue mehr Gegenwartskunst Bern gut und stärke die Stadt als Kunstort. Die Kunsthalle verstehe sich als Testfeld, in dem über längere Zeit stets neu Erprobtes irgendwann zum grösseren Publikum durchbreche. Auch Peter Bläuer betont den Nutzen des Vielen und Verschiedenen: Es müsse in einer Stadt eine gewisse Menge zu sehen geben; nur so lerne man zu sehen, zu unterscheiden, zu verstehen.

Und die Architektur des Erweiterungsbaus? Sie soll weder reine Hülle sein noch auftrumpfen. Der Bezug zum Ort erscheint Philipp Bischof wichtig, ein «Element von Einladung». Mitzudenken sei die Wirkung des Museums auf die Menschen, auf die Stadt. Eingeschränkt gelungen erscheint der Zusatzbau zum Kunstmuseum Basel. Positiv genannt werden das Kunsthaus Chur und das Kunstmuseum Lausanne (das im Herbst eröffnet werden wird), in dessen Räumen auch KünstlerInnen anderer Sparten gern arbeiten würden. Auch für Peter Bläuer kommt der Inhalt vor der Hülle; er muss mit der Stadt, ihrer Tradition und Identität zu tun haben.

Viel Anregendes

Sabina Lang weist darauf hin, dass auch unideale Räume, wie sie real bestehen, interessant sein können als Elemente der Reibung. Dies bezieht sie auch auf die Kunsthalle und deren starre Raumanordnung: Die Architektur des 100-jährigen Baus sei gut gealtert und habe bisher überdauert. Wichtig sei vor allem, dass man nicht Räume schaffe und dann keine Mittel habe, um sie zu bespielen. Peter Bläuer stimmt zu: Man dürfe nicht zu Lasten der späteren Betriebskosten bauen.

Eindruck: Viel Anregendes, das zum weiteren Nachdenken einlädt. Wenig Versuche, die unterschiedlichen Gedanken miteinander in Beziehung zu bringen oder, plakativ gesagt, zu bündeln. Schade, dass dem Publikum wenig Zeit blieb, sich zu äussern und untereinander und mit den Fachpersonen in Dialog zu treten. Dies blieb dem Apéro und den privaten Gesprächen überlassen.

Insgesamt: Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst. Doch es geht weiter.