Swiss Press Photo im Kornhausforum

von Bernhard Giger 13. September 2018

Heute startet im Kornhausforum die Swiss Press Photo 18 Ausstellung. Wir haben die Eröffnungsrede von Bernhard Giger, Leiter des Kornhausforums, dokumentiert.

Liebe Fotografinnen und Fotografen,
liebe Anwesende

 

Er war der Aufsteiger des Jahres. Ein 39-jähriger Genfer, daheim als Wonder Boy gefeiert, ausserhalb seines Kantons kaum bekannt, auf dem Sprung in den Bundesrat. Er war anders als die anderen, so wie er auftrat und sich positionierte und selbstbewusst in Stellung brachte. Die Ähnlichkeiten mit dem nur ein Jahr älteren Emmanuel Macron waren durchaus gewollt. Niels Ackermann hat den FDP-Kandidaten Pierre Maudet in den Monaten vor der Wahl begleitet. Seine Arbeit gewann den 1. Preis in der Kategorie Schweizer Reportagen.

Bis in den Bundesrat reichte der Schwung nicht. Aber der liberale Hoffnungsträger hatte sich weit über seine Partei hinaus einen Sympathiebonus geschaffen, aus dem durchaus noch Grosses hätte werden können. Das war im letzten September. Jetzt ist der Genfer Staatsratspräsident tief gefallen. Er hat die Öffentlichkeit belogen, politisch ist er damit wohl erledigt. Nils Ackermanns Reportage, in der viel Leichtigkeit, Menschennähe und Leidenschaft zu spüren ist und ein wenig auch ein neuer Stil in der Schweizer Politik, wird ein Jahr später zum zynischen Kommentar.

So brutal kann Pressefotografie sein. Was sich als Höhenflug darstellte, erweist sich plötzlich als letzte Pirouette vor dem Absturz. Weil die Bilder eben nicht, wie so oft die Abgebildeten, lügen und irreführen, sondern einfach zeigen, was ist und was sich ereignet. Wie im Siegerbild der Kategorie Aktualität, Reto Oeschgers Porträt von Jürg Jegge. Auch hier: ein plötzlicher tiefer Fall. Jegge war, ging es um Schul- und Erziehungsfragen, einst ein gefeierter Erneuerer, ein kampfeslustiger Anwalt der Kinder. Sein Buch «Dummheit ist lernbar», 1976 erschienen, ist über 200’000 Mal verkauft worden. Jetzt, am 7. April 2017, sitzt er daheim in seinem Wohnzimmer; er hat die Medien eingeladen, um erstmals zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs Stellung zu nehmen, die ein ehemaliger Schüler gegen ihn erhoben hat.

Einen gebrochenen Mann in Sünderpose zeigt die Aufnahme von Reto Oeschger. Er sitzt allein am Tisch, ausgegrenzt. Das Porträt ist ein bitteres Bild vom anderen Ende der Visionen, die dem gesellschaftspolitischen Aufbruch der späten Sechziger- und der Siebzigerjahre eigen waren. Reformpädagogik und sexuelle Befreiung waren damals, durchaus richtig, Leitthemen. Doch wo die Grenzen liegen, darüber hat man ganz offensichtlich zu wenig gesprochen. Jürg Jegges hässlicher Sturz macht es beklemmend deutlich.

Genau umgekehrt verläuft die Geschichte zum Gewinnerbild in der Kategorie Porträt. Sie beginnt mit einem Tiefschlag und endet zuversichtlich. Der Neuenburger Guillaume Perret hat das Porträt der 67-jährigen Daniela gemacht und wurde damit auch als Fotograf des Jahres ausgezeichnet. Bei Daniela wurde Brustkrebs diagnostiziert. Sie wehrte sich mit allen Mitteln dagegen und entschied sich nach erfolgreichen Therapien und Operation und in der Überzeugung, dass ein Rückfall nicht mehr möglich sei, sich fotografieren zu lassen. Es ist bewegend, dieser Frau auf den Bildern von Guillaume Perret zu begegnen. Diese Würde, diese Ruhe und, ja, auch das: diese Überlegenheit.

Eigentlich erstaunlich, was einem zu Pressebilder alles so einfällt. Es sind ja nur Pressebilder, heute aktuell, morgen kalter Kaffee. Ein grosser Teil der Newsbilder, da gibt es nichts zu beschönigen, erfüllt tatsächlich allenfalls tagesaktuellen Nutzen, ist austauschbar und rasch vergessen. Aber der Bildjournalismus ist, wenn er seine Qualitäten ausspielt – Nähe zu schaffen und zugleich Übersicht zu wahren, Emotion, Neugier und Respekt auf einmal spielen zu lassen – der Bildjournalismus ist die verlässlichste mediale Informationsquelle geblieben, seit seinen Anfängen in den Dreissigerjahren und trotz der Digitalisierung und ihren tausend Möglichkeiten der geschwinden Kommunikation.

Oder dadurch vielleicht erst recht. Längst wird zwar alles, was passiert, fotografiert und geteilt, ehe es richtig beginnt, aber die Bilder, denen man hintendrein wirklich traut, sind nicht die Handyfilmchen von Passanten und Gaffern, und schon gar nicht die Dutzendbilder der TV-News, die einem manchmal wie Endlosbänder vorkommen, sondern Pressebilder. Jede Wette, der halbe Saal hat das Handy gezückt, als sich Greenpeace-Aktivisten an der Generalversammlung der Credit Suisse im April 2017 im Zürcher Hallenstadion von der Decke abseilten und ein Transparent entrollten. Im kollektiven Gedächtnis haften bleibt aber eher das Bild, das Ennio Leanza von der Aktion gemacht hat und das von der Jury von Swiss Press Photo mit dem 3. Preis in der Kategorie Aktualität ausgezeichnet wurde. Sachlich, fast nüchtern fasst die Aufnahme die Symbolik dieses aussergewöhnlichen Moments zusammen: Greenpeace gegen Grossbank, Geldscheffeln gegen gesellschaftliche Verantwortung – die andere, die schmutzige Seite der globalen Vernetzung in einem Bild auf den Punkt gebracht.

Wir bringen grosse Ereignisse, wir bringen Geschichte immer wieder mit Pressebildern in Verbindung: Die Landung der Alliierten 1944 in der Normandie – das sind die grobkörnigen, schwarz-weissen Aufnahmen von Robert Capa. Che Guevara, das ist das zur Ikone gewordene, millionenfach auf T-Shirts und Postern kopierte Porträt eines romantischen Rebellen mit wehendem Haar und Béret von Alberto Korda. Oder, etwas zeitnaher: Die Bilder des chaotischen Aufbruchs, die der in Lausanne lebende, aus Afghanistan stammende Zalmai von der Räumung des Flüchtlingslagers «Dschungel» in Calais im Oktober 2016 gemacht hat, 2017 von Swiss Press Photo ausgezeichnet, diese Bilder haben sich auf ewig eingebrannt. Sie stehen beispielhaft – und erschütternd – für Europas Versagen in der Flüchtlingspolitik. Zalmai war in diesem Jahr Mitglied der Jury von Swiss Press Photo.

Der Bildjournalismus, heisst es, habe seine grossen Zeiten hinter sich. Bezogen auf die Publikationsmöglichkeiten, auf die Breite und die Aufmerksamkeit, die der Bildreportage in Zeitungen und Zeitschriften im 20. Jahrhundert eingeräumt wurden, ist das richtig. Heute muss sich die Pressefotografie ihre Kanäle im digitalen Umfeld und einer komplett veränderten Medienrealität neu suchen und schaffen, doch das heisst nicht, dass sie am Ende ist. Das zeigt, nicht zuletzt, diese Ausstellung, Swiss Press Photo, der von der Fondation Reinhardt von Graffenried seit über einem Vierteljahrhundert vergebene, nationale Medienpreis. Seine Breite – 193 Fotografinnen und Fotografen haben sich in diesem Jahr beteiligt – und die anhaltende Qualität der eingereichten Bilder sind ermutigende Zeichen für eine Branche, die sich gegen alle Widrigkeiten und stetig engere Produktionsbedingungen zu behaupten versucht. Die Pressefotografie, so scheint es, will das Zeitungssterben überleben. Gut zu wissen, dass es sie noch immer überall gibt, die, die genau hinschauen.