Ein Blick auf KTB von morgen

von Christoph Reichenau 30. Mai 2018

Konzert Theater Bern steht vor grossen Fragen – personell, organisatorisch, inhaltlich. Sucht man einen neuen Intendanten/eine Intendantin oder eine/einen CEO? Welche inhaltlichen Erwartungen sollen erfüllt werden? Und was dürfen wir dazu sagen?

Setzen wir, alles sei gut bei Konzert Theater Bern (KTB). Und hören wir in unserer rot-grünen Stadt auf einen klugen Konservativen. Auf den Fürsten in Tomasi di Lampedusas Roman »Der Leopard» (1958). Der sagt: «Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.»

Was muss sich ändern?

Immer neu positionieren

2011 haben Stadt und Kanton Bern sowie die Regionalkonferenz Bern-Mittelland das Stadttheater und das Symphonieorchester zusammengeschlossen in der Stiftung KTB. Diese subventionieren sie über vierjährige Leistungsvereinbarungen zu mehr als 80%. Die Subventionsgeber gewährleisten die Freiheit der Kunst. Sie wollen KTB inhaltlich nicht lenken. Sie können jedoch gesellschaftliche Verantwortung und Öffnung einfordern. In der Kulturstrategie der Stadt Bern 2017-2028 steht: «Je höher subventioniert eine Kulturinstitution ist, desto grösser ist ihre Verpflichtung zu Offenheit und Transparenz, zum Einbezug der gesamten Bevölkerung der Stadt. Die Kulturpolitik wird sich zur Frage der Kunstfreiheit versus gesellschaftspolitische Ansprüche immer wieder positionieren müssen.»

Immer wieder positionieren – das ist jetzt nötig. Im Sommer 2019 endet die siebente Spielzeit von KTB. Zudem tritt die neue Leistungsvereinbarung in Kraft. Gleichzeitig endet die Amtszeit von Schauspieldirektor Cihan Inan. Zwei Jahre später treten gleichzeitig Chefdirigent Mario Venzago und Intendant Stephan Märki zurück. KTB braucht eine neue Leitung.

Recht auf Partizipation beim Inhalt

KTB ist im Kanton Bern die weitaus am höchsten subventionierte Kulturinstitution. In KTB fliessen rund 55% der städtischen Kulturmittel. Wenn die Bürgerinnen und Bürger ein Vierspartenhaus mit grosser Kunst wollen, müssen sie es angemessen finanzieren. Sie haben dann auch ein Anrecht darauf, einbezogen zu werden: bei der Festlegung der inhaltlichen Ausrichtung und bei der Organisationsstruktur des anspruchsvollen Betriebs.

Zum Inhalt: Wie beurteilt das Publikum die Leistungen von KTB? Überzeugen Präsenz und Positionierung von Oper, Schauspiel, Tanz und Musik im gesellschaftlichen Wandel? Was zieht die einen an und hält andere ab?

Dazu soll die Bevölkerung in ihrer Verschiedenartigkeit zu Wort kommen. Die Verantwortlichen von KTB setzen sich mit Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen an einen Tisch: Mit Abonnent/innen, mit den Freunden des Theaters, mit Fachjournalist/innen, mit Schulen aller Stufen (Lehrpersonen und Schüler/innen), mit Jugendorganisationen, mit der Freien Theater- und Tanzszene, mit anderen professionellen Musikensembles, mit Laiengruppen, mit Kirchen, mit den Kulturförderstellen, mit den Medien, mit Communities anderer Kulturen usw. So wurde es bei der Arbeit an der Kulturstrategie 2017-2028 der Stadt Bern gemacht. Man erfährt viel, indem man auf die Leute zugeht und ihnen zuhört. Die derzeit laufende Umfrage bei Besucherinnen und Besuchern, auf die Intendanz Stephan Märki im Gespräch mit Journal B hinweist, ersetzt aktive Kontaktsuche nicht.

Bei aller Offenheit im Reden mit den Menschen ist klar: KTB hat einen Bildungsauftrag, muss ständig Neues wagen, darf nicht im Schielen auf Besucherzahlen den Mainstream bedienen. Die Subvention ist eine Risikoprämie und befreit KTB in beachtlichem Mass von der reinen Marktlogik.

Stimmt die Struktur?

Sieben Jahre nach der Gründung der Stiftung KTB erscheint ein Blick auf das Funktionieren des vielgestaltigen, komplizierten Gebildes nötig. Stimmt die Gesamtleitung des Betriebs durch einen Intendanten oder eine Intendantin? Wäre eine rein betriebliche Oberleitung mit künstlerisch autonomen Spartendirektionen für Tanz, Schauspiel, Musiktheater und Symphonik überzeugender? Wie müsste im einen und im anderen Modell die Regelung von Konflikten zwischen den beiden Ebenen ausgestaltet sein?

Die Fragen sind konkret. Ein Beispiel: Sowohl der Intendant als auch die SpartendirektorInnen werden vom Stiftungsrat angestellt. Der Intendant hat indes ein Vetorecht bei Entscheidungen der Spartenleitenden. Wenn dies zu Konflikten führt, ist der Stiftungsrat die einzige Schlichtungs- und Entscheidinstanz. Ganz natürlicherweise wird er eher den Intendanten stützen als dessen Untergebene. Ist das eine praxistaugliche Regelung? Sollte nicht im geltenden Modell der Intendant die Spartenleitenden anstellen dürfen: Wenn schon Hierarchie, dann konsequent?

Nicht alles lässt sich auf dem Papier regeln. Den Ausschlag gibt letztlich das persönliche Handeln der verantwortlichen Personen. Aber so weit möglich sollten Konflikte durch klare Zuständigkeiten vermieden werden.

KTB ist ein grosser «Laden» mit vier Sparten, ein paar hundert Mitarbeitenden und mehreren Betriebsstätten – ein fein austariertes Uhrwerk. Es braucht die ungeteilte Aufmerksamkeit und Arbeitskraft einer Leiterin oder eines Leiters, die oder der nicht zusätzlich eine Sparte führt und inszeniert. Eine allein auf die Betriebsverantwortung konzentrierte Leitung würde die künstlerische Verantwortung der Direktionen für Musiktheater, Symphonik, Schauspiel und Tanz automatisch stärken. Das wäre ein CEO oder eine Geschäftsführerin, keine Künstlerpersönlichkeit, wendet Stephan Märki im Gespräch ein. Gewiss. Die künstlerische Kompetenz wäre dann auf der Ebene der Spartendirektionen aufgehoben.

Wie weiter?

Die für Berner Verhältnisse imposante Institution KTB benötigt eine gründliche Prüfung, inhaltlich und strukturell. Wie geht das zusammen mit der baldigen Wahl einer neuen Leitung? Es gibt drei Möglichkeiten:

–        Man prüft vor der Ausschreibung der neuen Leitung und sucht anschliessend die zum definierten Profil passende Person. Das wäre das theoretisch richtige Vorgehen, doch reicht dafür die Zeit?

–        Man prüft parallel zur Ausschreibung, welches Theater und welchen Konzertbetrieb sich die Bevölkerung wünscht, verweist in der Ausschreibung auf den partizipativen Prozess und fordert von den Bewerber/innen ein Konzept, wie sie die Teilhabe fördern wollen.

–        Man sucht möglichst bald eine Person, die Offenheit, Risikobereitschaft und Experimentierlust mitbringt, die Unsicherheit aushält, und mit der zusammen der Stiftungsrat die nötigen Anpassungen vornimmt. Das wäre ein spannender Versuch.

Persönlich gebe ich der dritten Möglichkeit den Vorzug. Sie erlaubt eine sorgfältige Vorbereitung und dereinst eine öffentliche Diskussion mit der künftig verantwortlichen Person.

Wie sieht es zeitlich aus? Die Leitung sollte zwei Jahre vor Amtsantritt (2021) gewählt sein, also im Sommer 2019. Dafür bleiben gut 12 Monate. Das Prozedere muss folglich bald definiert sein, die Ausschreibung im Sommer oder spätestens im Herbst erfolgen.

Offenheit und Transparenz

Die subventionierende Bevölkerung darf erwarten, dass der Stiftungsrat bald bekannt gibt, wie er vorgehen will, welche Fachpersonen er in eine Findungsgruppe einbezieht, ob er wiederum eine Intendantin oder einen Intendanten sucht oder das Strukturmodell ändert oder – nach der dritten Möglichkeit – mit der neu gewählten Leitungsperson Änderungen vornehmen will. Dies ist ein öffentliches Thema. Im Gespräch zeigt sich Intendant Märki  interessiert an einem Podiumsgespräch dazu. Er will dort Fragen beantworten und sich der Diskussion stellen.

Offen ist die Haltung des Stiftungsrats. Ihm böte ein Podium die Chance, öffentlich wahrnehmbar zu werden. Ganz im Sinn des eingangs zitierten Satz aus der städtischen Kulturstrategie: «Je höher  subventioniert eine Kulturinstitution ist, desto grösser ist ihre Verpflichtung zu Offenheit und Transparenz, zum Einbezug der gesamten Bevölkerung der Stadt.»

Kommunizieren tut Not

In den letzten Jahren wurde das Bild von KTB in der Öffentlichkeit neben der künstlerischen Arbeit durch Einiges geprägt, das mit dem Inhalt des Theaters und der Symphoniekonzerte nichts zu tun hatte: Die Sanierung des Hauses am Kornhausplatz, die Schliessung des Kultur-Casinos, der Kubus auf dem Waisenhausplatz, personelle Konflikte. Dies waren und sind grosse Aufgaben. Sie binden Ressourcen, behindern Abläufe, verlangen ständige Aufmerksamkeit, Entscheidungen, Improvisation zusätzlich zum ordentlichen Betrieb, der gerade dadurch zum permanent ausser-ordentlichen Betrieb wird. Das ist in der Öffentlichkeit wohl nicht in der ganzen Tragweite zur Kenntnis genommen worden. KTB hat es auch nicht deutlich genug kommuniziert. Umso erfreulicher, dass jetzt im Vorfeld der Findung einer neuen Leitung der amtierende Intendant bereit ist, die Kommunikation zu verstärken, um Transparenz herzustellen.