Hat der Kapitalismus Wohlstand gebracht?

von Yannic Schmezer 28. Januar 2018

Im Schlachthaus läuft das Stück «Remake 68 – Ideen und ihre Leichen». Es erzählt die fiktive Geschichte dreier 68er, die Jahre später zusammentreffen und Bilanz ziehen.

68 feiert 50-jähriges Jubiläum – egal ob Zeitungen, Museen, Theater, die Welt ist ein halbes Jahrhundert nach den Love-Ins erneut durchflutet vom Geist der Hippies. Zumindest scheint sich eine Erinnerungskultur zu etablieren. Doch jetzt ist ein anderer Blick auf die Geschehnisse und zugrundeliegenden Ideale erlaubt, ja geradezu geboten. In diesem Zeichen steht auch das Stück «Remake 68 – Ideen und ihre Leichen», das derzeit im Schlachthaus Theater aufgeführt wird.

Vom Hippie zum Banker

Zu Beginn stehen vier Freunde. Sie scheinen das ganze Programm der 68er durchgemacht zu haben: Lautstarke Umzüge, freie Liebe, Drogenexszesse. Schlussendlich bieten die vorgetragenen Ereignisse auch eine Schau dessen, was um das Jahr 1968 in Bern und der Schweiz an revolutionärem Potential vorhanden war. Am 31. Mai 1968 schlagen eine Handvoll KonzertbesucherInnen im Hallenstadion Zürich, nachdem Jimi Hendrix’ Schlussakkord verklungen ist, Stühle klein. Darauf prügelt die Polizei die BesucherInnen aus dem Konzertsaal. Keinen Monat später befestigen Aktivisten und Aktivistinnen die Fahne der vietnamesischen Befreiungsarmee auf der Spitze des Berner Münsters. Ist die Revolution in der kleinbürgerlichen Schweiz angekommen?

Die vielen – aber zugegeben eleganten – Zeitsprünge machen die Brücke zur Gegenwart. Zusammengeführt hat die Freunde der schon etwas länger zurückliegende Tod ihres Freundes Vince. Kaum zusammen ziehen sie Bilanz: Was ist vom Feuer der vergangenen Tage übriggeblieben? Dieter, der bei der Credit Suisse arbeitete und mittlerweile ein beachtliches Vermögen besitzt, hat in den Augen seiner Freunde die Ideale der 68er verraten. Stattdessen lässt er sich von einem Verkäufer Komplimente für seine sportliche Statur machen und den neusten indischen Sandstein für die Befliesung seines Schwimmbeckens aufschwatzen. Dafür geniesst er jetzt das Privileg Fragen stellen zu dürfen.

Das Private ist politisch

Und diese brennenden Fragen, die es 50 Jahre später zu beantworten gilt, lauten: 1. Hat der Kapitalismus denn nicht Wohlstand gebracht? 2. Gibt es eine Alternative zum Kapitalismus? Ohne Beantwortung dieser Fragen ist die Adaptierung der Ideen schlicht nicht möglich. Die Rolle von Dieter als Advocatus Diaboli ist begrüssenswert, erlaubt sie doch eine kritische Auseinandersetzung mit den Idealen der 68er, die, damals wie heute, von gewissen Kreisen als felsenfeste Axiome akzeptiert werden. Und so gerät der eigentliche Grund der Zusammenkunft, nämlich die Verstreuung der Asche von Vince, schnell in den Hintergrund. Stattdessen wütet auf der Bühne ein lautstarker Disput über aktuelle und vergangene Politika und manchmal wird das Private – ganz getreu dem Leitsatz der Bewegung – auch politisch.

Die Dialoge die dabei entstehen sind in ein liebevoll gestaltetes – freilich klischiertes – Bühnenbild eigebettet: Gymnastikbälle, die sich hervorragend als Austragungsorte von Drogenräuschen andienen, ein vertikales Bett, das sich als absolut bühnentauglich entpuppt und natürlich ganz viele Farben. Die musikalische Untermalung ist zu grossen Teilen Sybille Aeberli und ihrer weinroten Gibson Les Paul geschuldet und stellenweise auch dem wohlklingenden und mehrstimmigen Chorgesang des ganzen Ensembles. So wird das Publikum eingangs, während es noch nach den Plätzen sucht, mit dem Refrain von «Love is all you need» der Beatles begrüsst. Wer Glück hat erhält sogar eine Umarmung.

In der Summe leisten die einzelnen Bestandteile der Aufführung das, was von einem guten Theaterstück zum Thema «68er in der Schweiz» zu erwarten ist: einen ehrlichen und kritischen Beitrag zur noch jungen Erinnerungskultur.