Kunstmuseum: Ein Weg aus der Sackgasse

von Christoph Reichenau 16. August 2017

Welcher Gegensatz im Kunstmuseum: Hier die tolle Ausstellung der Sammlung Hahnloser, da der drohende Schiffbruch des Projekts «Modernisierung KMB». Wie könnte das Museum aus der Sackgasse herausfinden? Ein Versuch.

Es sind wirklich sehr schöne Bilder, die seit letztem Freitag im Kunstmuseum Bern (KMB) zu betrachten sind. Sie stammen aus der Stiftung Hahnloser/Jaeggli, die vorerst für bis zu 15 Jahre im KMB Asyl geniesst. Das Asyl dauert, bis die Villa Flora in Winterthur nach Umbau und mit höheren Betriebsbeiträgen als Museum wieder eröffnet werden kann. Die «Flora» war ehemals das Wohnhaus des Sammler-Ehepaars und später Museum bzw. Ausstellungsort der hier gesammelten Werke. Die Sammlung könnte schon 2020 an ihren alten Ort zurückkehren.

Offenheit miterleben

Jetzt sind die Bilder in Bern. Hodler, Vallotton, Bonnard, Cézanne, Matisse und viele mehr – ein Panorama der französischen und westschweizerischen Malerei vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Eine Blütenlese, ein Florilegium damaliger zeitgenössischer Kunst aus einem bestimmten Herkunftsgebiet. Die offene Haltung der Sammler, deren bestimmende Kraft Hedy Hahnloser-Bühler war, ihre ebenso kluge wie kühne Begeisterung für «ihre» Bilder – als Auseinandersetzung mit dem Leben und ebenso als Bestandteil des eigenen Lebens – lässt sich bis am 11. März 2018 miterleben.

Geniessen wir den Zauber der Farben und Atmosphären, solange er wirkt. Und achten wir dabei en passant auf die baulichen Gegebenheiten der schönen, ja begeisternden Ausstellung. Wir steigen zu ihr über die geschwungene Marmortreppe ins Obergeschoss empor, durchqueren staunend die Raumflucht und landen dort, wo der alte Salvisberg-Bau in den 1983 vom Atelier 5 errichteten Trakt (im Folgenden A5-Trakt genannt) übergeht. Hier beginnt die Zone der akuten baulichen Probleme des KMB.

Verfuhrwerkt

Das KMB beansprucht seit fast zwanzig Jahren zusätzlichen Raum für Gegenwartskunst. Alle bisherigen Bemühungen sind gescheitert. Nun sollen 600 Quadratmeter im A5-Trakt umgenutzt werden. Das wird seit 2010 geplant und ist in einem 8,7 Millionen Franken teuren Projekt konkretisiert. Dafür liegt die Baubewilligung vor, nicht aber das Geld. Das Projekt soll jetzt neu – wie im Juni 2017 öffentlich erklärt – mit einer Gesamtsanierung des A5-Trakts verschmolzen werden (Kostenschätzung derzeit 40 Millionen). Daran werden vom Kanton 32 Millionen erwartet.

Weil es nach so langer Zeit eilt, will das KMB den Architekturauftrag ohne öffentliche Ausschreibung vergeben. Dagegen führen – Journal B berichtete – 32 Berner Architekturbüros Beschwerde. Die Sektion Bern des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA hat zudem eine Aufsichtsbeschwerde bei der kantonalen Erziehungsdirektion eingereicht. Die Direktion des KMB steht mit den Architektinnen und Architekten im Gespräch.

Das gibt Anlass zur Hoffnung. Die Lage ist so verfuhrwerkt wie nur möglich, ein Stop zum ruhigen Nachdenken zwingend. Falls das Ansinnen durchgestiert werden sollte, würde es schon beim Regierungsrat, spätestens aber beim Grossen Rat Schiffbruch erleiden – zum Schaden des gesamten Kulturbereichs.

Versuch, einen Ausweg zu finden

Es geht in dieser Lage nicht darum, im Blick zurück Schuldige zu suchen und Kritik zu üben. Das wäre einfach und billig. Es geht nicht darum, die früheren und heutigen Verantwortlichen des KMB an den Pranger zu stellen. Es geht einzig darum, in Würdigung der Umstände und mit Blick nach vorn einen anderen Weg aufzuzeigen. Dies ist nicht Sache des KMB allein, denn das Museum dient uns allen, sondern Sache aller, die an einem funktionierenden KMB interessiert sind. In diesem Sinn dürfen sich auch Nicht-Fachleute zu Wort melden.

Die baulichen und haustechnischen Umstände im KMB sind – wie in vielen Kulturinstitutionen – schwierig. Eine Unterhaltsplanung fehlte bis 2016. In der Leistungsvereinbarung sind für den laufenden Unterhalt jährlich gerade 300‘000 Franken vorgesehen. Wen wundert es da, dass das Dach rinnt? Wen erstaunt, dass die Klimaanlage ersetzt werden sollte? Und zwar dringend, denn sie ist erstens am Ende ihrer Funktionsdauer angelangt, kann zweitens mangels Ersatzteilen nicht repariert werden und ist drittens für die sorgfältige Behandlung der Kunstwerke zwingend – heisst: Steigt die Anlage aus, muss der A5-Trakt geschlossen werden. Man denkt lieber nicht an den Spott, der dem KMB dann sicher wäre.

Rasch das Zwingende tun

Weil die Anlage dringend ersetzt werden muss, erklären die Verantwortlichen das ganze Projekt «Modernisierung KMB» für dringlich und preschen vor. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Wenn der A5-Trakt wegen neuer Ausstellungs- und Depoträume teilweise umgenutzt und gesamthaft saniert werden soll, erscheint es vernünftig, die neue Klimaanlage auch den neuen Nutzungsanforderungen entsprechend zu planen. Das Problem: Diese neuen Anforderungen sind weit weniger geklärt als der Ersatz der Klimaanlage an sich. Denn für zusätzlichen Ausstellungsraum bestehen in den Liegenschaften der Museumsstiftung selbst, aber auch an anderen Orten in der Stadt, mindestens gleichwertige Alternativen.

Deshalb könnte ein vernünftiger Lösungsweg darin bestehen, zuerst einmal nur die Klimaanlage zu ersetzen. Vielleicht liegt die neue Anlage dann nicht für alle späteren Nutzungen des Baus am optimalen Ort. Aber unbegrenzte Möglichkeiten, eine Klimaanlage in der bestehenden Struktur des A5-Trakts unterzubringen, gibt es nicht. Und wenn der Ersatz der Anlage allein auch mehr kostet als eine neue Anlage im Rahmen der Gesamtsanierung, so eröffnet er im Gegenzug zwei grosse Chancen: Die sachlich keineswegs zwingende Koppelung von neuer Klimaanlage und zusätzlichem Ausstellungsraum würde entwirrt. Und indem man den Knoten löst, gewinnt man Zeit, um die Frage zusätzlichen Ausstellungsraums ohne Scheuklappen von Grund auf und unter Einbezug aller Möglichkeiten neu zu denken.

Zurück zur «grünen Wiese»

Dieses Vorgehen hätte viele Vorteile:

• Rasch gemacht wird, was eilt und allen einleuchtet: Das Dach wird abgedichtet, die Klimaanlage ersetzt. Damit wird aufgeschobener Unterhalt nachgeholt. So bleibt das Haus funktionstüchtig, nicht mehr, nicht weniger.

• Die Dachstiftung, unter der das KMB und das Zentrum Paul Klee (ZPK) seit Mitte 2015 zusammenwachsen, gewinnt Handlungsspielraum zurück. Sie findet, bildhaft gesagt, zurück zur sprichwörtlichen «grünen Wiese». Anstatt eine Altlast weiter zu tragen, können die neue Geschäftsleitung und der neue Stiftungsrat in Ruhe – das bedeutet nicht schleppend – überlegen, was im Gesamtinteresse der beiden Museen in näherer und weiterer Zukunft das Beste ist. Dazu gehört die Frage der optimalen Eignung der beiden Häuser für «ihre» Kunst. Dazu gehört die Frage, wofür genau es wirklich mehr Ausstellungsraum braucht und welches dafür die beste Lösung ist. Dazu gehört die sorgfältige Sanierung des A5-Trakts. Und dazu gehört die Frage vertiefter Partnerschaften in der Kunst, etwa mit der Kunsthalle.

• Die Überlegungen münden zweckmässigerweise in einen Masterplan für die nächsten 10 bis 15 Jahre. Mit ihm zeigt der Stiftungsrat den öffentlichen sowie privaten Geld- und Leihgebern, dass er mit der Kunst und mit dem Geld sorgfältig umgeht. So wird er glaubwürdig und kann sie für seine Ideen gewinnen.

Neues wagen

«Man ist nicht realistisch, indem man keine Idee hat», schrieben Max Frisch und andere 1955 in ihrem Manifest «achtung: die schweiz» im Hinblick auf die Expo 1964. Das gilt auch heute. Bezogen auf das KMB könnte man sagen: Eine (neue) Idee wird erst möglich, indem man realistisch vorgeht. Schön wäre, wenn der Stiftungsrat und die Direktion den Versuch wagen würden. Sie können nur gewinnen.