Der Stein ist gesetzt

von Christoph Reichenau 21. Juni 2017

Drei Jahre nach dem Tod der Theaterfrau Trix Bühler wird heute um 17.30 Uhr bei «ihrem» Schlachthaus Theater jener Stein mit einer Inschrift enthüllt, den sie 1997 vom Gemeinderat als Sisyphus-Preis erhalten hatte.

Sisyphus, König von Korinth um das Jahr 1400 vor Christus, war in Homers Überlieferung der Mann, der in der Unterwelt einen schweren Stein den Berg hinaufrollen musste. Fast war der Stein oben, da rollte er ins Tal zurück und der Krampf begann von neuem. Die Strafe hatte sich Sisyphus zugezogen, weil er die Götter verachtete und überlistete, um seinen Tod hinauszuschieben. Lange galt die nie endende Pein als Symbol einer schweren Arbeit ohne Sinn und Nutzen. 1942 dann beendete Albert Camus seinen Essay über den «Mythos von Sisyphus» mit den Sätzen: «Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.»

Ständiger Kampf, der erfüllt

«Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.» Als der Gemeinderat 1990 den nach Sisyphus benannten Preis für ausserordentliche Kulturarbeit in Bern zum ersten Mal vergab, an Paul Roland, den langjährigen Leiter der Schauspielschule, wollte er damit dessen Wirken gewiss nicht als absurd bezeichnen, aber als ständigen Kampf gegen Gipfel jeder Art würdigen.

1997 ging die Ehre an Trix Bühler. Sie war 1948 in Freiburg im Breisgau zur Welt gekommen, hatte in Berlin und Wien Theaterwissenschaften, Philosophie und Germanistik studiert und wirkte seit 1981 am Stadttheater Bern als Regieassistentin, dann als Regisseurin. Als Intendant Peter Borchardt 1982 die Gastspielreihe «Auawirleben» begründete, war Bühler dabei. Später wurde die Reihe vom Stadttheater losgelöst. In den 1990er Jahren übernahm Trix Bühler die Leitung des selbständigen Festivals für zeitgenössisches Theater und behielt sie – zuletzt mit Nicolette Kretz – bis zu ihrem Tod am 21. Juni 2014.

Aua, wir leben

In ihren 33 Berner Jahren war Trix Bühler Theaterfrau mit Haut und Haaren. Sie hatte keine Berührungsängste, inszenierte am Stadttheater Bern, am Theater Basel, am Schauspielhaus und im Ausland. Sie lebte ebenso in der Freien Szene, deren Produktionen aus ganz Europa sie Jahr für Jahr am Festival hier präsentierte und zur Diskussion stellte. Und «hier» trafen sich aus Anlass von «Auawirleben» jedes Jahr mehr Interessierte aus der ganzen Schweiz und darüber hinaus. Denn längst war der Anlass ein Stelldichein der Szenen geworden, eine Chance der ständigen Infragestellung, Selbstvergewisserung, Erneuerung des Theaterbereichs, der so gut wie jeder andere zur Verkalkung und institutionalisierten Normierung tendiert.

«Auawirleben» öffnete einmal pro Jahr in der Bundesstadt die Fenster, machte Durchzug. Liess spüren, dass Leben kein bequemes Sich-Einrichten sein muss (sein darf), sondern immer wieder verwundet und weh tut. Und bot an, den Schmerz mit andern zu teilen und dadurch aushaltbar zu machen, ja vielleicht in eine Veränderung des eigenen und des gesellschaftlichen Lebens hineinzuführen.

Erste Auszeichnung

Trix Bühler – die fragil wirkende, aber zäh schaffende und kämpfende Frau, die in gutem Schuhwerk fest auf dem Boden stand und dennoch (oder gerade deswegen) den Möglichkeitssinn verkörperte, die zuweilen im Halbschlaf genau beobachtete, die mit leiser Stimme präzis und ohne voreilige Versöhnung argumentierte, die mit jeder und jedem redete und doch niemandes Kumpel war, die in ihrer Zigarettenspitze ein Erkennungszeichen schuf wie Churchill mit seiner Zigarre – Trix Bühler erhielt 1997 zusammen mit Peter Borchardt im Erlacherhof den Sisyphus-Preis und so die Anerkennung der Stadtregierung. Es war die gleiche Regierung, die in ihrem Kultur-Konzept 1996-2008 die Sätze geschrieben hatte: «Das künstlerische und kulturelle Schaffen kann vom Gemeinwesen weder je ganz verstanden, noch in der Gesamtheit gerecht und rechtzeitig gefördert werden. Was wirklich neu und einzigartig ist, wirkt im Entstehen oft so fremd, dass es in seiner Bedeutung nicht ohne weiteres erfasst zu werden vermag.»

Die Freude über den Preis war von kurzer Dauer, denn wenig später wurden ihr von der Stadt Mittel gestrichen. Eine Inkonsequenz, die Trix Bühler grob und wütend machte. Ich habe ihren Zorn einige Jahre später als Kultursekretär der Stadt Bern ebenfalls erlebt, als es darum ging, die Subvention für Auawirleben zu erhöhen.

Der Sisyphus-Preis war ein taubengrauer Stein mit feiner weisser Äderung in der Grösse eines Rugby-Balls. Er war Trix Bühlers erste grosse Auszeichnung. Zahlreiche weitere folgten (Jubilee Award des Migros-Kulturprozents 2007, Kulturpreis des Kantons Bern 2008), die letzten kurz vor ihrem Tod 2014 für ihre Leistungen im zeitgenössischen Theater und besonders fürs Brückenschlagen zwischen den Stadttheatern und der Freien Szene (erster Schweizer Theaterpreis und Prix Suisseculture).

Auf eine Zigarette

Der Sisyphus-Stein kam 2014 auf Trix‘ Bühlers Balkon im Nachlass zum Vorschein. Die Familie wollte, dass der Stein in Bern bleibt. Enge Freundinnen und Freunde meinten, ihm gebühre ein Platz im öffentlichen Raum. Tom Hostettler meisselte Trix Bühlers Namen, ihre Jahrzahlen und «Regie» in den Stein. Nach langem Suchen, zuletzt mit Unterstützung der Arbeitsgruppe GiöR der Stadtverwaltung (Gestaltung im öffentlichen Raum), fand sich ein Ort, der sowohl die Kriterien der Verwaltung erfüllt, als auch die Vorstellungen der Freundesgruppe. Heute um 17.30 Uhr wird der Stein auf dem Mäuerchen bei der Treppe in den Keller des Schlachthaus-Theaters an der Rathausgasse enthüllt.

Dort erinnert er an Trix Bühler, die zu früh gehen musste und damit gar nicht einverstanden war. Er lädt ein, sich zu ihr zu setzen. Etwas unbequem und immer vorläufig. Auf eine Zigarette sozusagen. Wer will, kann sich Trix Bühler dann als einen glücklichen Menschen vorstellen.