Im Zaubergarten von Montet

von Christoph Reichenau 5. Mai 2017

Während drei Jahren hat Urs Hänsenberger im Park von Montet fotografiert, den Toni Grieb und Lilly Keller vor fünfzig Jahren angelegt haben. Seine Schwarz-weiss-Aufnahmen zeigt er ab heute im offspace viktoria.

Ein langer schmaler Kellerraum, ganz in Weiss. Unmittelbar rechts an der Schmalseite die grösste Fotografie: das Geäst eines «Nastüechlibaums» (Davidia involucrata), behängt mit fast durchscheinenden falschen Blütenblättern, die an Taschentücher gemahnen. An der gegenüber liegenden Schmalseite derselbe Baum in kleinerem Format, noch zarter, irgendwie japanisch wirkend. Willkommen in Urs Hänsenbergers Ausstellung. Willkommen im kleinen Park oder grossen Garten, in dem die Aufnahmen gemacht worden sind.

Kurz nachdem die Berner Künstlerin Lilly Keller mit ihrem Partner Toni Grieb vor fünfundfünfzig Jahren in Montet über dem Neuenburgersee ein heruntergekommenes Bauernhaus gekauft hatte, fällten die beiden den Obstgarten und begannen mit Samen aus englischen Parks und vielen weiteren Orten auf 6’000 Quadratmetern ihre eigene Pflanzenwelt heranzuziehen. Bernhard Giger schrieb damals: «Dort taucht man in eine verzaubernde Welt voll herrlicher Kleinigkeiten, hinein zwischen Gegenstände, Pflanzen und Tiere. Die Ruhe wird man bald bemerken, die Lichtspiele zarter Blätter, später wird man genauer hinschauen und Dinge entdecken, die man ins Herz schliesst und niemals mehr vergessen möchte. […] Zwischendurch wird man von Toni durch den Garten geführt, von einem knapp fünfzig Centimeter hohen Bäumchen erklärt er, dieses werde ungefähr achtzig Meter hoch wachsen.»

2013 begann Urs Hänsenberger inmitten der nun hohen Bäume analog zu fotografieren. Er suchte im vielfältigen Dickicht des Parks Sujets, um die Strukturen der Pflanzen und ihres Ineinandergreifens zu erfassen. Fast immer steht der Betrachter mitten in überwältigender Fülle ohne Ahnung von der Gesamtanlage des Parks. Einzelne Fotos zeigen skulptural und formal-streng einzelne Stengel und Blätter, an den deutschen Pflanzenfotografen Karl Blossfeldt erinnernd. Auf anderen erkennt man die ungezähmt wirkende Vielfalt des Spriessens und Wucherns. Zuweilen ist ein Detail, etwa ein Stämmchen, durch einfallende Sonnenstrahlen hell ins Licht gerückt, während die Umgebung im Dunkeln dämmert.

Mit der Fotografin Lisa Schäublin hat Urs Hänsenberger Aufnahmen gewählt, die pflanzliche Strukturen zeigen, die Komplexität von Licht und Schatten betonen und sich nicht schon auf den ersten Blick erschliessen. Die Schwarz-weiss-Fotos verfremden den Garten, nehmen ihm alles Erbauliche und heben das «Gebaute» in der Natur hervor. Man muss oft genau hinschauen, um etwa zu erkennen, dass es sich um eine Decke von toten Blättern, Wasserlinsen und Staub auf einem Teich liegend handelt und nicht um ein Stück Erde.

Entstanden ist ein lustvoller, die Neugier auf den realen Ort weckender Gang durch den als Kulturprojekt geschaffenen Zaubergarten von Montet. Um mit Bernhard Giger zu schliessen: «Eine Reise nach Montet tun – das bedeutet, Anregungen sammeln, der Aufforderung zum kreativen Leben folgen.»