Overbeck nicht vergessen!

von Fredi Lerch 13. Februar 2017

Die letzten Jahre seines Lebens hat Kurt Marti im ElfenauPark gelebt. Im Fumoir des Restaurants hat er jeweils seine Gäste empfangen und vielen als Gesprächspartner unvergessliche Stunden geschenkt. Zum Beispiel diese.

Vorm Empfang der Alterssiedlung hat er sich

auf einen Stuhl gesetzt und wartet; erhebt sich,

als die Tür sich automatisch öffnet und er mich

im Gegenlicht erkennt. Mit ihm erhebt sich auch

das strenge Alter, das seine Hüften ungelenkig

macht und seinen Rücken schräg nach vorne bricht.

Jedoch: Er lacht, sagt «Sälü», breitet seine müden

Arme aus als Zeichen seiner Gastfreundschaft

im fremden Haus und bittet mich zu folgen in den

kleinen Speisesaal, in dem die Pensionäre essen.

 

Wir setzen uns, wir reden, essen nebenbei und

ich erwähne Spitteler und Widmann, Jugendfreunde

und Studenten der Theologie, schon bald verkracht

mit Kirche und mit Dogma, doch in beiden steckt

die tiefe Sehnsucht nach dem Religiösen als Erlebnis.

Widmann wird zum Pantheisten, Spitteler, der Atheist

und Epiker, erhöht die Verserhabenheit zur Kunstreligion.

Woher jedoch, frag ich, bei beiden dieser Bruch

mit dem tradierten Christentum? War’s Basel? War’s

ihr Lehrer Jakob Burckhardt? War’s Professor Nietzsche,

den ja beide lasen, später öffentlich auch kritisierten?

 

Overbeck!, sagt da bestimmt der Alte über seiner

Suppe: Vergiss den Theologen nicht, der auch in Basel

lehrte und den Glauben ob der Kirchentradition

verlor, danach die Christlichkeit der herrschenden

Theologie in Frage stellte… Und war’s nicht er,

der sich von Basel nach Turin bemühte, als Freund

Nietzsche dort im Untergehen einen Droschkengaul

umklammerte? Er war ein intressanter Mann,

vielleicht für Spitteler und Widmann auch.

 

Und später geht’s um seine Zeit in Basel,

und wie im Seminar des Protestanten Barth

sich mehr als einmal Balthasar auch einfand,

um als Katholik zu disputieren, den Studenten

zum Gewinn. Und wie dann Balthasar, vom Papst

zum Kardinal ernannt, Jahrzehnte später tot

zusammenbricht, auch das in Basel und bevor

er dazu kommt, nach Rom zu fahren.

 

Dann reden wir von «Sax», vom neuesten Roman

des älterwerdenden Poeta doctus dieses Lands,

und dass die Kritiken nicht eben gnädig…

«Ach, der A.», seufzt zwinkernd da der Alte

und erzählt, wie einst an einer Tagung Hanni,

seine Frau, dem oft Verzagten einen Abend lang

die Klagen abgehört und so ein gutes Werk getan.

Und als wir beide lächeln, sitzen plötzlich

wir zu dritt, auch Hanni lächelt, deren Asche

im Schosshalden-Friedhof unterm grossen Stein

gebettet ist und wartet. – Zwei, schon zwei,

ich greife nach dem Portemonnaie und er, empört,

ich sei sein Gast. Wir gehn danach in seinem Schritt

zur Ausgangstür und während er noch winkt,

eil ich zur Busstation, zurück in meinen Alltag.

 

(September 2010)