Kunst-Stafette #62: Caroline Schenk

von Magdalena Schindler 16. August 2016

Ironisch reflektiert Caroline Schenk den Überwachungswahn unserer Zeit. Sie stattet sich selbst mit einer Videokamera über dem Kopf aus und zieht ihre Privatspur durch den öffentlichen Raum. 

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Caroline Schenk:

Wir leben in einer Welt, in der die Überwachung nahezu lückenlos geworden ist. Regierungen nutzen die Angst vor Terroranschlägen, um Gesetze im Eilverfahren durchzusetzen, welche die Totalüberwachung der eigenen BürgerInnen erlaubt. Watchyourself ist eine Langzeit-Video-Performance im öffentlichen Raum. Sie erzählt von meiner persönlichen Auseinandersetzung mit diesen stetig wachsenden Kontroll- und Überwachungssystemen.

In verschiedenen Städten Europas unternehme ich täglich (während 30 Tagen) einen performativen Spaziergang und dokumentiere meinen zurückgelegten Weg aus der Vogelperspektive. Die Videokamera ist auf einer Dachlatte befestigt, diese steckt in meinem Hosenbund und ist mit einem Gurt fixiert. Es geht mir darum, mich mit einfachen, gebastelten, fast dilettantischen Mitteln der Allmächtigkeit solcher Systeme zu widersetzen und zu versuchen, eine ironische Ebene zu schaffen. Immer wieder geht es mir dabei um das Moment des Freiraumes im stark strukturierten und kontrollierten Raum.

Mich beschäftigt aber auch die grundsätzliche Frage nach der Verbindung von Körper und urbanem Raum. Die Wege, die ich täglich gegangen bin, erzählen den persönlichen Raum im öffentlichen Raum und wie sich das Individuum darin bewegt. Es ist ein Versuch, die Komplexität eines persönlichen Orientierungssinns aufzuzeigen und visuell umzusetzen. Ich möchte – mit einer eigenwilligen Perspektive auf die Stadt und ihre BewohnerInnen – Einblicke in die Welt geben, in der wir uns bewegen und eine Art subjektive Kartographie entstehen lassen.

Welchen Raum brauchst du für deine Kunst?

Ich brauche die Möglichkeit eines Dazwischen – einen Zwischen-Raum. Zwischenräume, gedankliche Bruchstellen, Lücken und Übergänge sind die Räume, die ich am liebsten erforsche und die mir genügend Freiraum verschaffen, um kreativ arbeiten zu können. Zwischenräume sind unbeständig und unsicher, sie sind manchmal unbehaglich. Sie haben die Eigenschaft, sich stets zu verändern und mit neuen Ideen und Bedeutungen gefüllt werden zu können.

In meinen Arbeiten frage ich mich oft: Wie nutzt die Kunst ganz grundsätzlich ihren Raum und ihren Freiraum? Wie geht sie auf die Suche nach neuen Wirkungsräumen? Kunst – davon bin ich überzeugt – ist wirksam als Element individueller Bildung, aber auch zur Herstellung von öffentlichem Ideen-Austausch und kollektiver Verständigung. Sie kann und soll provozieren und individuelle Impulse setzen und sie formuliert, im besten Fall, was ohne sie vielleicht sprachlos geblieben wäre.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Meine Arbeiten sind meist Theater-Installationen und Videoperformances und beschäftigen sich oft mit den Themen Privatsphäre und Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt stehen private und soziale Rituale. Ich versuche in mehrfacher Weise unterwegs zu sein: untersuchend, dokumentierend und intervenierend. Ich möchte nicht nur aufgreifen, sondern auch eingreifen und im weitesten Sinne auch Beziehungen entwickeln. 

Suchst du die Öffentlichkeit?

Im Rahmen meines letzten Projekts RETRO–Caroline Schenk Revisited One habe ich mir unter anderem folgende Frage gestellt: Was passiert, wenn eine unbekannte Künstlerin eine Abkürzung nimmt und bewusst den Pflichtparcours ignoriert, den im Allgemeinen jeder Künstler und jede Künstlerin leisten muss, um gewürdigt zu werden? Wenn sie einfach für sich entscheidet, sich selbst eine Retrospektive zu widmen? Die grosse Herausforderung bei diesem Projekt bestand in der subtilen Balance zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit und dem Offenlegen der Mechanismen des Kunstmarktes. So habe ich mich unter anderem Folgendes gefragt: Wenn ich mir vornehmen würde, dem Kunstbetrieb meine eigene Retrospektive unterzujubeln, wie würde ich dies am besten schaffen? Sollte ich direkt bei einem Museum anfragen? Oder sollte ich gar meine Werke als Schenkung in eine bestehende Sammlung überführen lassen?

Daraus ist die Aktion Infiltration1 entstanden: Ich habe für meine Video-Aktion im Vorfeld einen QR-Code generiert, diesen anschliessend in eine Kulturinstitution eingeschleust und mich dabei mit einer Spion-Brille gefilmt. Direkt nach der Aktion habe ich das Video auf Vimeo geladen. Die BesucherInnen konnten den Code scannen und so die Performance abrufen. Mehr zur Thematik der Öffentlichkeit, der Anerkennung und der Würdigung sowie der Frage der (Selbst)Vermarktung gibt auch meinem BLOG.

Wo siehst Du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Ich mag vor allem Aktionen und ephemere Handlungen, die sich in unseren Alltag und in unsere Macht- und Ordnungsverhältnisse infiltrieren. Die Nutzung des öffentlichen Raumes erlaubt mir das Recherchieren alltäglicher Situationen, Regeln und Routinen und gibt mir die Möglichkeit des Umcodierens und des Verfremdens der bestehenden kulturellen Codes. Auf diese Art und Weise kann ich Innen- und Aussenperspektiven  hinterfragen und so hoffentlich neue Lesearten des Gewohnten schaffen.

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Momentan ist es die Brache am Warmbächliweg. Dieser Ort ist Zwischen-Raum und Erinnerungs-Raum in einem und das macht ihn für mich sehr inspirierend.