Kunst-Stafette #57: Martin Schick

von Magdalena Schindler 26. April 2016

Performance-Künstler Martin Schick untersucht gesellschaftliche Prozesse. Kunst soll nicht als Produkt gerahmt werden, sondern unbemerkt den öffentlichen Raum besetzen und zu einem kritischen Bewusstsein beitragen.

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Martin Schick:

Der Anlass war eine Einladung zu einem Event-Format, genannt «Salon», wo ich für 12 Personen in Thalwil eine Performance gestalten sollte. Eine Auftragsarbeit also. Die Gastgeber waren Businessleute, arbeiten jeweils für Google und für Ebay, und so sollte denn auch der Inhalt meiner Performance diesen Kontext aufgreifen. Der Salon wurde zu einem Kick-Off-Event von einem Business, das Performances für Galas, Salons und Einzelbegegnungen verkauft. Die anwesenden Gäste wurden zu Aktionären und also zu «Beteiligten» gemacht und das Businessmodell wurde vorgestellt und mithilfe dieser optimiert. Für die Manifesta 11 entwickelte ich diese Idee weiter, gemeinsam mit einer Produzentin (die diesen Event organisiert hatte) und einer Kuratorin (die eine Abschlussarbeit zum Thema «Gala-Art» geschrieben hat), und die Idee verwandelte sich vom Business zur Agentur (HnC = AGENCY), das den Profit nicht im monetären Auskommen sieht, sondern in der Verbreitung und Publikmachung von kritischer, unabhängiger Performancekunst. Das Projekt HNc, dessen Buchstaben im Titel variabel sind, mache ich gemeinsam mit Agustina Strüngmann, Marisa Koenig Beatty und den Performing Artists aus Zürich und Umgebung.

Welchen Raum brauchst du für deine Kunst?

Den privaten und semi-privaten, also institutionellen Raum: Wohnungen, Offspaces, Firmen, Vereinslokale, und den öffentlichen Raum, bis hin zum digitalen Raum. Im Lowbudget-Bereich kann auch ein Telefonanruf oder eine SMS von einem Künstler akquiriert werden.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Gesellschaftliche Fragen sind nicht Thema, sondern sind die Kunst an sich. Für mich liegt die Kunst längst nicht mehr im Objekt oder in der Performance, sondern in dem Bezug zu den Umständen, der Einordnung der Performance, der «Innenpolitik» – und das Resultat (was oftmals als die Kunst verstanden wird) ist die Dokumentation dazu. Mich interessieren vor allem die ökonomischen Grundlagen einer gesellschaftlichen Anordnung und die Überführung derer in emotionale und körperliche Erfahrungen. Die Ökonomie gibt der Gesellschaft die Struktur vor und ist, vor allem seit der so genannten Wirtschaftskrise, mächtiger als politische Interessen. Das Theater (oder die Galerie) stellt in seinem Aufbau das Modell eines Betrieb dar, je nachdem ein Staatsbetrieb oder ein Betrieb des privatwirtschaftlichen Interesses, oftmals in optimaler Mischform. Hier lassen sich Systeme untersuchen, die auf grössere Zusammenhänge schliessen lassen und für einmal ins Absurde getrieben werden können, um sie zu verstehen, oder über sie zu lachen, oder um sie zu kritisieren.

Mit dem Projekt HNc befinden wir uns in einem widersprüchlichen Feld von Kunst und Auftrag, Kunst als Serviceleistung oder Kunst als Amusement für eine gewisse Bourgeoisie. In dieser Problemzone möchten wir operieren, um Zusammenhänge aufzudecken und zu diskutieren. Dabei entstehen mitunter unangenehme Situationen oder es wird überhaupt nicht laufen, aber ähnlich wie in der Debatte um das Grundeinkommen, denke ich, dass die Eröffnung des Dialogs bereits ein Gewinn ist. Alles Weitere überlassen wir dem Zuschauer/ dem Bürger/ dem potentiellen Kollaboranten.

Suchst du die Öffentlichkeit?

Na, wieso würde ich diesen Fragebogen sonst ausfüllen?

Wo siehst Du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Ich denke, der öffentliche Raum ist am Verschwinden, es gibt ihn eigentlich gar nicht, er ist vielleicht öffentlich zugänglich, aber er ist definiert und dient einem übergeordneten Interesse. Modelle wie die Allmende oder der Commons sind rar und beschreiben Inseln. Gerade in der Schweiz ist diese Unfreiheit eines jeden Quadratmeters spürbar. Selbst in den Alpen ist jeder Fleck definiert und unterliegt strengen Regeln. Meine Lust ist es, und da passt dieser Begriff ganz gut, diesen Raum zu penetrieren, konstant und möglichst hemmungslos, ohne einem blinden Aktivismus zu verfallen. Die Eingriffe sollen hochbewusst und möglichst unerkennbar bleiben, um nicht als Kunst ertappt zu werden, denn Kunst wird gerne gerahmt und unabhängig von der Alltagsrealität wahrgenommen. Der Vorhang fällt und es geht weiter wie zuvor.

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Bis vor kurzem das Café des Pyrénées… und das 3 Eidgenossen, das Parterre, der Progr, die Heitere Fahne: Alles Ausnahmeerscheinungen und Gold wert. Ach, und ganz vergessen: Der Oppenheimbrunnen! Und Gäbelbach. Die Schwimmbäder sind frei, die Reitschule gibts noch und im Kirchenfeld arbeiten Architekten, es gibt Hoffnung. Bern ist an sich einfach schön. Zu schön. So dass man Angst hat vor Veränderung und das Schöne immer mehr nach historischem Museum aussieht. Die Buh-Spots möchte ich auch gerne noch anfügen: Der Kubus des Konzerttheaters, die neue Hauptpost und ___________ (Bitte selber ausfüllen!).