Kunst-Stafette #55: Adrien Rihs

von Magdalena Schindler 31. März 2016

Adrien Rihs ist die treibende Kraft hinter Projekten wie «office goes art», dank derer sich Kunst befristet in Büros oder Krankenhäusern einnistet. In seinem «Erinnerungsraum» verbinden sich gesammelte Erinnerungs-Wörter zu einem vielstimmigen Ganzen.

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Adrien Rihs:

Die Arbeit entstand im Rahmen meines Projekts «office goes art» (www.officegoesart.ch), wurde bis jetzt einmal wiederholt und wird eventuell 2017 während «ArtStadtBern» (www.artstadtbern.ch) fortgesetzt. Die Besucher werden eingeladen, mir ein Wort mitzuteilen, das sie mit einer Erinnerung verbinden. Diese Erinnerungen werden schriftlich festgehalten und in einem Archiv abgelegt. Die Wörter füllen nach und nach den Raum. Jeder Besucher darf auch Einblick in das Archiv nehmen, sofern er selbst ein Wort und die damit verknüpfte Erinnerung hinterlässt. Einerseits entstand die Idee durch die besonderen Bedingungen des Raumes selbst (ein Chefbüro), der alle Ingredienzen für eine solche Aktion enthielt: einen Bürotisch, um die Erinnerungen aufzuschreiben, komfortable Sessel, um die Erinnerungen der anderen zu lesen, grosszügige Wände, die viel Platz für die Wörter boten. Einerseits reizte es mich, diesen Raum mit Erinnerungen zu «füllen». Anderseits stellte sich mir die Frage, ob Wörter auch Erinnerungen auslösen können, wie es zum Beispiel das Wort «Madeleine» bei Proust vermag, wobei dort die Auslöser der Geruch und der Geschmack des Schmelzbrötchens waren. Wie steht es aber mit abstrakten Buchstabenfolgen oder auditiv wahrgenommenen Buchstabenreihen? Vermögen diese auch Erinnerungen wachzurufen? Bei mir persönlich funktioniert das ganz gut – aber wie steht es bei anderen?

Welchen Raum brauchst du, um die hier vorstellte Installation zu realisieren?

Zuerst war der Raum: Er war Auslöser der Aktion. Beim zweiten Mal stand mir ein Leerraum zur Verfügung. Wie es bei «ArtStadtBern» aussehen wird, kann ich noch nicht sagen. Eigentlich eignen sich alle Räume, auch private, die eine Wandfläche anbieten, welche temporär mit Wörtern «beschriftet» werden kann. Zwischen den Aktionen kann das Projekt in einem virtuellen Raum stattfinden. Alle sind eingeladen, mir ein Wort und die dazu passende Erinnerung per Mail zuzustellen (). Im Sinne des Dialogs werden sie dann eingeladen, das Archiv einzusehen.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Meine Kunst hat meist eine interaktive Komponente. Ich ziehe gern das Publikum in meine Arbeiten mit ein. Der Dialog spielt dabei eine wesentliche Rolle. Als Individuum, das Teil der Gesellschaft ist, interagiere ich mit anderen Individuen, die der Gesellschaft angehören. Dadurch hat meine Kunst immer eine gesellschaftliche Komponente.

Suchst du die Öffentlichkeit?

Ich suche den Dialog mit der Öffentlichkeit. Meine Kunst für einen Ort und für einen Augenblick würde ohne diesen Dialog nicht funktionieren.

Wo siehst Du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Mein Kunstschaffen hat in der Nutzung des öffentlichen Raums ihren Anfang genommen. Meine Projekte gehen aber auch über die Kunst im rein öffentlichen Raum hinaus, da sie sich auch in privaten Räumlichkeiten abspielen oder in Räumlichkeiten, die kaum der Öffentlichkeit zugänglich sind. Diese Räumlichkeiten werden nur für kurze Zeit für das Publikum geöffnet: «office goes art» und «ArtStadtBern» dauern jeweils 1 bis 2 Tage. In den benutzten Räumlichkeiten ist nicht alles machbar. Es besteht wenig Zeit für den Aufbau. Beide Projekte sehen vor, dass die für den Raum konzipierte Kunst mit diesem im Dialog steht. Die Kunstschaffenden setzen sich auseinander mit der Architektur des Raumes, mit dessen Zweck, mit der Person, die darin wohnt oder arbeitet. Es bestehen also zahlreiche Einschränkungen bzw. Auflagen bei der Erschaffung dieser ephemeren Kunst. Gerade darin liegt aber auch das Potential in der Benützung des öffentlichen bzw. auch des privaten Raums. Dies regt dazu an, andere Wege einzuschlagen. In diesem Sinn kann eine neuartige Kunst entstehen, die ausserhalb des Kunst-Markt-Systems und der museal konservierten Kunst steht. Eine Kunst, die vom traditionellen Kunstverständnis mit seinem Anspruch nach Ewigkeit, aber auch dem gängigen Bild des Kunstwerks im Sinne eines einzigartigen Gegenstandes abweicht.

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Momentan bin ich bei der Vorbereitung der dritten Durchführung von ArtStadtBern, die am 6. und 7. Mai 2017 über die Bühne gehen soll. Dabei gilt es, Räumlichkeiten für mehr als dreissig KünstlerInnen – mich eingeschlossen – in der unteren Berner Altstadt zu suchen. Meine Hotspots sind die sich dort befindenden verborgenen Orte. Ich bekomme Einblick in verschiedenste private Räume (Wohnungen, Treppenhäuser, Dachstöcke, Terrassen, Keller), aber auch in von mir noch nie besuchte (halb)öffentliche Räume wie die Antonierkirche oder den von Gartentor in der letzten Kunst-Stafette erwähnte Pfeiler der Nydeggbrücke, die sich geradezu anbieten zur künstlerischen Gestaltung. Und wer weiss, vielleicht wird sich darunter auch ein Raum für meine eigene Aktion befinden – ein Erinnerungsraum oder ein Raum, der mich zu etwas ganz anderem inspiriert.